Liebe Freunde Osteuropas! Der Juni ist rum, Zeit zurückzublicken, was sich auf dem #Osteuropa-Buchmarkt Neues getan hat. Diesmal stelle ich 39 Sachbücher und 13 Romane/Gedichtbände kurz vor.

Wer sich tiefgründig in die Geschichte der Ukraine einlesen will, für den ist das Buch „Das Tor Europas“ des ukrainischen Historikers Serhii Plokhy sicher eine gute Wahl. Nach knapp drei Jahren ist jetzt die günstigere Taschenbuchausgabe erschienen.

Wer mehr zu dem Buch wissen will. Es gibt bereits eine Rezension von mir. https://literatur-osteuropa.blog/2024/01/09/das-tor-europas-die-geschichte-der-ukraine-von-serhii-plokhy/

Über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind bereits einige Biografien geschrieben worden. Die – meines Wissens – erste eines russischen Autors legt nun Dmitry Bykov vor. In „VZ: Volodymyr Zelenskyy and the Making of a Nation“ erzählt er den Aufstieg Selenskyjs vom Komiker zum Präsidenten. Ich muss es sicher auch mal lesen, um es mit den fünf anderen Biografien über Selenskyj abzugleichen, ob die Lektüre von Bykovs Buch sich lohnt.

Olia Hercules ist gebürtige Ukrainerin und machte in Großbritannien als Köchin Karriere. Mehrere Kochbücher hat sie veröffentlicht, jetzt folgt ein Sachbuch. In „Strong Roots“ erzählt sie ein Jahrhundert ukrainische Geschichte anhand ihrer eigenen Familie. Vier Generationen von der Russifizierung über die Deportation von Olias Großmutter in die verschneite Einöde unter Stalin, den Schulprotest ihrer Tante Zhenia bis hin zur Flucht ihrer eigenen Eltern aus der Ukraine, als ihre Stadt 2022 besetzt wurde.

Und noch ein gebürtiger Ukrainer, der in einem anderen Land aufgewachsen ist, hat ein Buch veröffentlicht. Mihail Groys zog als Kind mit seiner Familie in den 90er Jahren aus dem Donbas nach Deutschland. In seinem Buch „Meine deutsche Geschichte: Wie ich als ukrainischer Jude meine neue Heimat sehe“ betrachtet er die deutsche Gesellschaft, hält ihr den Spiegel vor und fragt sich, was genau ihr Wesen ausmacht. „Heiter und anekdotisch erzählt er von einem Land voller Eigenheiten, beleuchtet die unterschiedlichen Bereiche, die unsere Gesellschaft auszeichnen, und zeigt, wie es gelingen kann, Unterschiede zu überwinden und einem anderen mit offenen Armen zu begegnen“, heißt es im Klappentext.

Wer „Die Verräter“ von Artur Weigandt schon gelesen hat, der wird die Atomtests, die die Russen in Kasachstan durchgeführt haben, kennen. Genau zu dem Thema ist jetzt ein Sachbuch vom Humangeograf Yannick Kiesel erschienen. In seinem Buch „Kasachstans nukleares Erbe: Die vergessenen Stimmen der sowjetischen Atomtests“ erzählt von den Betroffenen, die durch die Atomtests verstrahlt wurden. Überlebende und Aktivisten berichten in Interviews von ihrem Alltag im Schatten der Tests, berichten von persönlichen Verlusten und dem zähen Kampf um Anerkennung.

Anfang dieses Jahres ist der Journalist und Autor Martin Pollack gestorben. Mehr als ein Jahrzehnt ist der Korrespondent des Spiegel in Wien und Warschau gewesen. Posthum ist „Zeiten der Scham“ mit seinen Reportagen und Essays erschienen. Darin enthalten Berichte aus Ländern wie der Ukraine, Belarus oder der Republik Moldau, aber auch Aufrufe zum Widerstand und bewegende Reden gegen das Vergessen des Holocaust.

Würdet ihr im bitterkalten russischen Winter von Moskau gen Osten wandern, um nachzuempfinden, wie das für Napoleon und seine Truppen wohl gewesen ist, sich wieder zurückzuziehen? Ich nicht. Der französische Reiseschriftsteller Sylvian Tesson hat es getan. Und dazu ein Buch herausgebracht. Zuerst 2015 auf Französisch erschienen, dann ein Jahr später auf Deutsch und jetzt nochmal unter dem neuen Titel „Moskau – Beresina – Paris: Viertausend Kilometer durch Eis und Schnee auf den Spuren Napoleons“. Tessons Buch wird als „wunderbarer Reisebericht voller Humor, Nachdenklichkeit, Motorpannen und Wodka“ beworben. Es soll eine großartige Lektüre nicht nur für alle, die von außergewöhnlichen Abenteuern träumen, sondern auch für alle Geschichtsinteressierte sein.

Version 1.0.0

Vor zwei Jahren erstmals erschienen und jetzt als Taschenbuch-Ausgabe ist „Goodbye Russia: Rachmaninoff in Exile“ von der britischen Musikkritikerin Fiona Maddocks. Es geht um den russischen Pianisten Sergej Rachmaninow, der mit 44 Jahren im Revolutionsjahr 1917 Russland verließ und danach kaum mehr Musik schrieb. Er war reich, traf Stars wie Walt Disney und Charlie Chaplin sowie seine russischen Zeitgenossen und Gegenspieler Prokofjew und Strawinsky. Maddocks hat eine Vielzahl an Quellen aufgetan, um die Geschichte dieses Komponisten zu erzählen.

Die beiden russischen Journalisten Andrei Soldatov und Irina Borogan haben „Our Dear Friends in Moscow: The Inside Story of a Broken Generation“ herausgebracht. Darin geht es um eben jene Generation an Moskauern, die in den 90er Jahren mit Idealismus in die Zukunft geschaut haben. Ein Idealismus, der sich nicht erfüllt hat, als Putin sein autokratisches System immer weiter ausgebaute. Sicher eine spannende Innensicht der russischen (Moskauer) Gesellschaft.

 In dem Buch „Freiheit/Svoboda/Wolność: Eine unvollendete Geschichte“, herausgegeben von Philipp Bürger und Viktoria Krason, geht es um eine Ausstellung, die sich mit der Genese, Beschaffenheit und der Wirkung heutiger Freiheitskonzepte beschäftigt. Beispielhaft wird dabei auf die Revolutionen in der DDR, der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakei Ende der 1980er Jahre geschaut. „Der Katalog zur Ausstellung geht in drei Kapiteln der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen Freiheit möglich ist. Er verbindet historische, kultur-, kunst- und bildwissenschaftliche Zugriffe in Essays mit Bildstrecken, literarischen Miniaturen und Erinnerungsfragmenten aus den drei fokussierten Ländern und veranschaulicht so, dass Befreiung langfristig nur durch Solidarität zu verwirklichen ist“, heißt es im Klappentext.

Ziemlich günstig als E-Book zu haben ist „Ordinary Guy at War: A Ukrainian’s Journey“ von Dimko Zhluktenko. Der Autor ist ein technischer Spezialist, der freiwillig in den Krieg gezogen ist und aus eigener Anschauung davon erzählen kann. Von den ersten chaotischen Stunden der russischen Invasion im Februar 2022 bis zu den darauffolgenden Jahren nimmt Zhluktenko die Leser mit auf eine Reise durch die Schlachtfelder, Bombenkeller und digitalen Frontlinien der modernen Kriegsführung. Mit schonungsloser Ehrlichkeit schildert er seinen Weg vom reiselustigen IT-Fachmann zu einer Schlüsselfigur des ukrainischen Widerstands, der Millionen für Militärtechnologie sammelte und seine Freunde an der Front unterstützte. Schließlich trifft er, getrieben von einem tiefen Pflichtgefühl, die lebensverändernde Entscheidung, selbst den Streitkräften beizutreten.

In ihrem Buch „Kharkiv. Architectural Guide“ nimmt die Autorin Ievgeniia Gubkina den Leser mit auf eine Reise durch die Geschichte und die Architektur der Stadt Charkiw, vom Alten Zentrum bis zum Neuen Zentrum, in dem sich das Derzhprom befindet, ein konstruktivistisches Juwel, das auch ein neues Modell der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen verkörperte. Dieser Architekturführer ist eine Hommage an den unbeugsamen Freiheitsgeist der Bürger von Charkiw. Er ist aber auch ein wichtiger Akt des Erinnerns und des Widerstands: Indem er die Gebäude der Stadt in Wort und Bild dokumentiert, obwohl viele von ihnen Tag für Tag von russischen Bomben zerstört werden, hält er sie als Modell für die Zukunft der Stadt in unseren Köpfen intakt und lebendig.

Version 1.0.0

Der Uni-Professor Donnacha Ó Beacháin hat sich in seinem Buch „Unfinished Empire: Russian Imperialism in Ukraine and the Near Abroad“ mit der imperialistischen Denkweise Russlands beschäftigt; und wirft ein kritisches Licht darauf, wie Geschichte, Politik und Macht in der Ukraine und darüber hinaus weiterhin aufeinanderprallen, und warum es für die globale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist, den Kreislauf der russischen Vorherrschaft zu durchbrechen. Das Buch soll eine unverzichtbare Lektüre sein, um die Komplexität der aktuellen geopolitischen Krise zu begreifen, heißt es im Klappentext.

Ok, jetzt ist „Russia’s Gamble: The Domestic Origins of Russia’s Attack on Ukraine“ von Vladimir Gel’man plötzlich schon im April erschienen. Sei’s drum. Der Professor von der Universität Helsinki hat sich tiefgründiger mit den Ursprüngen der russischen Großinvasion beschäftigt. Gel’man will erklären, warum der Angriff von den russischen Eliten und Führern so schlecht vorbereitet und so zerstörerisch durchgeführt wurde. Dabei untersucht der Autor vor allem die innenpolitische Agenda Russlands und deren Dynamik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und was für Lehren die Staaten dieser Welt aus diesem Angriffskrieg ziehen sollten.

Ernst Thälmann hat durch sein Tun und Lassen den deutschen Parteikommunismus entscheidend geprägt. Mit seinem Namen sind die politischen Erfolge der KPD in den Jahren der Weimarer Republik verbunden. Nach der Machtübergabe an Hitler und die Nazipartei wurde er zum weltweiten Symbol des antifaschistischen Widerstandskampfes. Doch für eine wirkliche Führungspersönlichkeit fehlten ihm wichtige Eigenschaften. Das wussten auch schon seine Zeitgenossen. Einen neuen und differenzierten Blick auf seine Person gibt es jetzt in dem Buch „»Wenn Moskau das so will …«. Eine Ernst Thälmann Biografie“ von Ronald Friedmann.

Schätzungsweise mehr als 20.000 Frauen erfuhren während des Kosovo-Krieges 1998-1999 sexuelle Gewalt. Bis heute habe nur wenige öffentlich darüber gesprochen. In dem Buch „The Strongest Link: An Oral History of Wartime Rape Survivors in Kosovo“ von Anna Di Lellio und Garentina Karja kommen 20 Frauen zu Wort. Durch diese Erzählungen erhalten die LeserInnen einen Einblick in das Leben einer Frau, deren Leben durch ein Gewaltregime, einen Krieg und patriarchalische Regeln verändert und zerstört wurde. Der Leser/die Leserin sieht, wie diese Frauen gelitten haben, aber auch, wie sie ungeheuren Mut und eine unermüdliche Hingabe an ihre Familien und Gemeinschaften bewiesen haben.

Viel ist schon über den Holocaust geschrieben worden. Litauen ist dabei noch wenig beachtet. Das ändert sich mit dem Buch „Life Must Go On: The Remarkable Story of Sol Lurie, the Kovno Ghetto, and the Tragic Fate of Lithuania’s Jews“ von Bea Lurie. Die Autorin schreibt über ihren Vater Sol, der nach einer beschaulichen Kindheit im litauischen Kovno von den Nazis mit seinen Eltern in ein Ghetto gezwungen wurde, das später ein KZ wurde. Insgesamt fünf von ihnen wird er überleben, wird an seinem 15. Geburtstag aus Buchenwald befreit. Sol Lurie wandert danach in die USA aus und wird dort ein erfolgreicher Geschäftsmann.

Na, folgen mir Elitestudenten des Fachs Osteuropäische Geschichte? Da habe ich was für euch. Wenn ihr uns in euren Dissertationen die verfehlte Osteuropapolitik Deutschlands aufarbeitet, könnt ihr euch in dem Werk „Zeitenwende in der deutschen Osteuropapolitik: Politiker:innen im Gespräch“ schon mal die Grundlagen dafür anlesen.

Leo Rung ist 1992 als Zehnjähriger mit seiner russlanddeutschen Familie aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Seine Familiengeschichte und die Geschichte der Russlanddeutschen im Allgemeinen hat ihn immer interessiert. Mehrere Aufsätze hat er bereits veröffentlicht. In Book on Demand hat er jetzt sein Buch „Deutsche aus Russland: und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ veröffentlicht. Als die Deutschen in Russland ihre Privilegien auf Selbstverwaltung 1871 in Russland verloren haben, setzte eine Fluchtbewegung in die ganze Welt ein, nach Deutschland, Osteuropa, Zentralasien, Nord- und Südamerika. Um diese Deutschen soll es in Rungs Buch gehen.

Bereits vor mehr als zwei Jahren erschienen und jetzt in der günstigeren Taschenbuch-Ausgabe zu haben ist „China and Russia: Four Centuries of Conflict and Concord“ von Philip Snow. Wie der Titel schon sagt, geht es um die Beziehungen zwischen den beiden Großreichen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Und wem Englisch zu schwer ist, der kann sicher ohne Probleme einfach zu dem auch in diesem Jahr erschienene Buch „China und Russland: Kurze Geschichte einer langen Beziehung“ von Sören Urban und Martin Wagner greifen.

Um Ungarn geht es in dem Buch „Hungary’s System of National Cooperation: Strategies of Framing in Pro-Governmental Media and Public Discourse, 2010—18“ von Zsófia Mária Schmidt. Genauer gesagt um das „System der Nationalen Kooperation“ (auf Ungarisch kurz NER). Infrastrukturprojekte, Wirtschaftsunternehmen, NGOs, akademische und religiöse Einrichtungen erhalten Geld vom Staat und der EU und müssen dafür regierungsfreundlich sein. Dieses System wurde bislang kaum erforscht. Bis jetzt.

Der Journalist Richard Hargreaves hat sich für sein Buch „Opening the Gates of Hell“ besonders genau mit den ersten zehn Tagen der Operation Barbarossa beschäftigt. Es geht dabei neben den Kämpfen auch um die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, die von beiden Seiten begangenen Gräueltaten und die ethnischen Säuberungen, die von den Bewohnern der eroberten Regionen durchgeführt wurden. Das Buch stützt sich auf veröffentlichte und unveröffentlichte Quellen aus ganz Deutschland und Osteuropa, wobei der Großteil des Materials noch nie in englischsprachigen Berichten über den Konflikt erschienen ist, heißt es im Klappentext.

Auch um den Zweiten Weltkrieg geht es in „The German-Soviet War“ von Jeff Rutherford und Robert Von Maier. Das vernachlässigte Thema der zerstörerischen deutschen Rückzüge mit verbrannter Erde wird darin detailliert analysiert, um die Bedeutung von Ideologie und wirtschaftlichem Denken im Krieg der deutschen Armee aufzuzeigen. Die Schwierigkeit, wirtschaftliche und ideologische Erwägungen in Einklang zu bringen, spielte auch bei den sowjetischen Versuchen des Wiederaufbaus nach dem Krieg eine wichtige Rolle. Das Buch soll nicht nur die Aufmerksamkeit auf diese verheerenden Ereignisse lenken, sondern auch die allgemeine Darstellung des Krieges revidieren.

Ganz weit ins kalte Sibirien geht es in „Facing the Fire, Taking the Stage: Ritual, Performance, and Belonging in Buryat Communities of Siberia“ des Akademikers Joseph J. Long. Er hat mehrere Jahre anthropologische Feldforschung betrieben, die Kultur der burjatischen Mongolen westlich des Baikalsees erforscht.

Ihr kennt vielleicht auch die Kommentare auf Facebook, X und Co. à la „Also ich würde für meine Regierung nicht kämpfen“. Aber wann und warum entscheidet sich ein Mensch, zur Waffe zu greifen. Genau damit hat sich Huseyn Aliyev in seinem Buch „Who Fights for Governments?: Paramilitary Mobilization in Ukraine and Beyond“ beschäftigt. Und zwar beispielhaft anhand ehemaliger und aktiver Mitglieder der regierungsnahen Freiwilligenbataillone der Ukraine. Diese Studie soll zeigen, wie es der ukrainischen Nation gelang, die russische Aggression sowohl 2014-15 als auch 2022 abzuwehren, aber auch, wie und warum Hunderte von regierungsfreundlichen Milizen im Kontext bewaffneter Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt entstehen.

Wiebke Lisner hat sich für ihr Werk „Hebammen im Wartheland: Geburtshilfe zwischen Privatheit und Rassenpolitik 1939-1945“ mit den Hebammen in Polen unter deutscher Besatzung beschäftigt, und zwar jüdischen, nicht-jüdischen, deutschen und polnischen. Die Nazis verfolgten dort eine „Germanisierung“ der Geburtenpolitik. Soll heißen: Geburten von deutschen Kindern wurden gefördert, bei jüdischen und polnischen Frauen versuchte man, Geburten zu verhindern. Wie diese Politik aktiv durch die Hebammen umgesetzt wurde, hat Lisner in ihrer Arbeit beleuchtet.

Über Babyn Jar, die Schlucht bei Kyjiw, bei der die Nazis an zwei Tagen Ende September 1941 mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden umgebracht hat, ist schon viel geschrieben worden. Jetzt ist das Thema durch die Historikerin Victoria Khiterer um ein Buch reicher. In „Bitter War of Memory: The Babyn Yar Massacre, Aftermath, and Commemoration“ geht es um das Verbrechen selbst, wie die Sowjetideologie mit dem Gedenken umging und wie es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in der unabhängigen Ukraine weiterging.

Über den Holodomor, die große Hungersnot in der Ukraine ausgelöst durchs Stalin Politik, ist viel geschrieben worden. Bislang fehlte aber die globale Perspektive. Diese liegt nun in dem Sammelband „The Holodomor in Global Perspective: How the Famine in Ukraine Shaped the World“ vor.

Mit dem Pulitzer-Preis werden herausragende journalistische und weitere Beiträge gewürdigt. Der emeritierte Professor Heinz-Dietrich Fischer hat nun ein Band mit einem Dutzend Beispielen für investigative Berichterstattung herausgebracht. Neben Berichten über Kriegsverbrechen in Vietnam und Skandalen über Priester ist auch ein Bericht über die Verteidigung der Ukraine im Kampf gegen Russland dabei.

Und noch ein Buch, das plötzlich schon im April erschienen ist. Für Putin ist Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg und an die Größe der Sowjetunion wichtig. Doch die Jahrhunderte davor war es mit dem Erinnern in Russland nicht anders. Die russische Erinnerungspolitik diente unabhängig von der jeweiligen historischen Periode immer dazu, die Einwohner des Landes zu integrieren, den Führerkult zu stärken, die von den Herrschern gewünschten sozialen Einstellungen und Stereotypen zu kultivieren und ihre Fehler und Verbrechen zu relativieren. Das beleuchtet der polnische Wissenschaftler Wojciech Materski genauer in seinem Buch „Tsars, Soviets, Putin: A Study of Russia’s Politics of History“.

Sind hier professionelle Übersetzer des Russischen ins Deutsche unter meinen Followern? Für euch ist vielleicht das Werk „Zeitgenössische russischsprachige Prosa der Diaspora: Ein Übersetzungsprojekt“ von Katrin B. Karl und Christian Zehnder. Es geht um Erzählungen von Yevgenia Belorusets, Olga Bragina, Michail Gigolaschwili, Maxim Ossipow und Michail Schischkin, die hier erstmals auf Deutsch und zugleich auf Russisch erscheinen, begleitet von philologischen Kommentaren und Reflexionen zum Übersetzungsprozess.

Und ebenfalls um Übersetzen geht es in „„gestalthaft zugegen“: Sergej Esenin und Osip Mandel’štam in Übersetzungen von Paul Celan“ von Ketevan Megrelishvili. Celans Affinität zu Mandel’štam ist bereits gut erforscht, bei Esenin klafft noch eine Lücke. Die Autorin macht es sich zur Aufgabe, dieses einseitige Bild zu korrigieren.

Und nochmal wird es literaturwissenschaftlich. In den 1980er und 90er Jahren entwickelte sich eine neue theoretische Strömung in den Geistes- und Sozialwissenschaften: der corporeal turn. Kurz gesagt: In der Erforschung von Literatur sollte der Körper und nicht mehr die Sprache im Mittelpunkt stehen. Wie das in den slawischen Literaturen vonstattenging, könnt ihr in „Körperkonzepte: Transformationen in slawischen Literaturen und Kulturen“ von Magdalena Baran-Szołtys und Ingeborg Jandl-Konrad nachlesen.

Im Ersten Weltkrieg waren für die Deutschen der Russe der Feind. Doch auch schon damals lebten russländische Bürger im Deutschen Reich. Wie wurde mit ihnen umgegangen? Damit hat sich Historiker Hannes Bock in seinem Buch „Von Nachbarn und Feinden: »Russische Feindstaatenangehörige« im Ersten Weltkrieg in Deutschland“ befasst.

Der Publizist Holger Politt hat sich in seinem Buch „Westwind in östlichem Gelände: Kritische Einwürfe zur osteuropäischen Friedensfrage“ mit den Jahrzehnten nach der Auflösung der Sowjetunion beschäftigt. Genauer gesagt: Der Autor geht anhand von Beispielen im »östlichen Gelände« den Fragen von territorialer Integrität und strikter Achtung einst vereinbarter Grenzlinien nach, zeigt, in welch Teufels Küche Europa plötzlich kommt, wenn Grenzen willkürlich verletzt, verschoben und fremdes Land annektiert wird.

Und zuletzt noch was Polnisches (keine Ahnung wie das in meine Liste gerutscht ist, fand den Titel wohl interessant). In „Na drodze do porozumienia: Relacje polsko-ukraińskie w XX i XXI wieku“ (zu Deutsch: „Auf dem Weg zur Verständigung: Die polnisch-ukrainischen Beziehungen im 20. und 21. Jahrhundert”). Darin befinden sich siebzehn Texte in polnischer und ukrainischer Sprache, die von Historikern und Experten aus beiden Ländern verfasst wurden. Die Autoren versuchen nicht nur, die Dynamik der polnisch-ukrainischen Beziehungen zu verstehen, sondern auch Wege zur Zusammenarbeit aufzuzeigen. Dabei schrecken sie auch vor schwierigen Themen nicht zurück – Nationalitätenpolitik, erzwungene Migration oder die Auswirkungen des andauernden ukrainisch-russischen Krieges auf die Wahrnehmung der Identität und die Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte.

Avatar von thomasleurs

Published by

Categories:

Eine Antwort zu „Neuerscheinungen Juni 2025 (Sachbücher)”.

  1. Avatar von florianandrews
    florianandrews

    Super – danke!

    Florian Andrews Osterbrook 66 20537 Hamburg florian.andrews@gmx.net Tel.: 0175-2637755

    >

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu florianandrews Antwort abbrechen