Liebe Freunde Osteuropas! Als die Slowakin Nicol Hochholczerová 2021 ihr Debütroman „Dieses Zimmer kann man nicht essen“ veröffentlichte, hätte sie nicht mit so großer Resonanz gerechnet. Dabei ist das Thema – eine sexuelle Schülerin-Lehrer-Beziehung – sehr brisant.

Das, was in der slowakischen Literaturwelt vor vier Jahren große Debatten um das Buch „Dieses Zimmer kann man nicht essen“ (im Original „Táto izba sa nedá zjesť“) hervorgerufen hat, war nicht nur, weil es in dem Debütroman der Autorin um ein zwölfjähriges Mädchen geht, das eine sexuelle Beziehung mit einem 50-jährigen Lehrer beginnt, sondern das die Autorin über ihre Erfahrungen schreibt, die sie selbst erlebt hat.

Die Handlung: Das Mädchen Tereza beginnt mit dem 50-jährigen Ivan eine Beziehung. Die Beziehung muss natürlich heimlich stattfinden, niemand darf davon etwas wissen. Doch irgendwann kommt es raus, die Schüler wissen davon, die eigenen Eltern des Mädchens auch. Doch eine wirklich enge Bindung zu den Eltern hat Tereza nicht. Gegen Ende des Romans ist sie mittlerweile 18 Jahre alt und erwachsen.

Das wirklich Besondere an dem Buch ist, dass es seine eigene Sprache hat. Im Klappentext wird der Roman als „poetische Coming-of-Age-Geschichte“ beschrieben. Und genau das ist es. Auf wenn das Roman ein Prosatext ist, enthält er viele Elemente der Poesie. Es sind eher kurze Episoden, mittels denen der Leser durch das Leben sowohl des Mädchens als auch des Lehrers geführt wird. Dabei bedient sich Hochholczerová einer ganz eigenen Sprache, spielt mit ihr, stellt damit Bezüge innerhalb ihres Buches her. Die Journalistin Eva Čobejová schreibt in ihrer Rezension zu dem Buch unter anderem etwas verkürzt ausgedrückt: Erfahrene Leser anspruchvoller Literatur werden das Buch verstehen, junge Leser mit weniger Erfahrung eher verwirrt sein.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Buches, den ich so nicht erwartet habe. Der Roman ist keine Abrechnung an den Lehrer, er ist nicht mit Hass und Missgunst geschrieben. Ganz im Gegenteil: Hochholczerová schreibt sowohl aus der Perspektive des Mädchens als auch aus der Perspektive des Lehrers. So überlässt sie es viel mehr dem Leser selbst, ein moralisches Urteil zu fällen.

Denn auch, wenn es sich hier ja ganz klar um ein Verbrechen – um Grooming handelt – sieht Tereza sich selbst nicht als Opfer. Und trotzdem hat sie mit den Erfahrungen zu kämpfen. Der Titel sagt es schon. Dieses Zimmer kann man nicht essen. Zimmer kann man nicht essen. Also was meint sie damit? Wohl eher die Erfahrungen, die sie in dieser Beziehung mit dem Lehrer gemacht hat, und wie sie mit diesen Erfahrungen umgehen und sie verdauen, spricht verarbeiten kann. Dazu bedient sie sich – wie ich schon geschrieben habe – einer ganz eigenen Sprache. An einer Stelle beschreibt sie, wie sie einen Löffel herunterschluckt. Später zieht sie ein langes weißes Haar aus ihrem Mund, am Ende des Haares hängt ein Löffel. Mit diesem und vielen weiteren Sprachbildern arbeitet die Autorin, ebenso wenn es um Sexszenen geht, die mal klar beschrieben, mal verklausuliert beschrieben werden.

Ich habe das Buch zweimal gelesen, mit ein paar Wochen Abstand dazwischen und mir hat es etwas geholfen, den Roman besser zu verstehen. Ich bin mir wirklich unschlüssig, ob ich Lesern, die eher nur leichte Literatur lesen wollen, grundsätzlich von diesem Buch abraten würde. Es hat was, auch wenn man etwas braucht, um alles zu verstehen. Also wer anspruchsvolle Literatur mag und sich von dem Thema nicht von vornherein abgestoßen fühlt, sollte dem Buch durchaus eine Chance geben.

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