
Liebe Freunde Osteuropas! Gerade jetzt ist es umso wichtiger, dass es Menschen gibt, die uns Russland erklären. Einer der besten Kenner auf dem Gebiet ist der Journalist Michael Thumann. Und konfrontiert uns mit einiges Widersprüchlichkeiten der russischen Gesellschaft.
Aber eigentlich ist das schon zu kurz gegriffen. Mit „Eisiges Schweigen flussabwärts: Eine Reise von Moskau nach Berlin“ hat Thumann ein sehr persönliches Buch geschrieben. Er beschreibt seine Reise von der russischen Hauptstadt über die drei baltischen Staaten, Polen und dann nach Deutschland. Dabei muss er Grenzübergänge überwinden, was für einen Journalisten zuweilen immer etwas komplizierter ist, stellt eine Vielzahl an Menschen vor, die er auf seinen Wegen nach Berlin trifft und kennenlernt und erzählt vor allem viel von Russland.
Etwa von der Memorial-Gründerin Irina Scherbakowa, die nach dem Beginn des großen Angriffskriegs auf die Ukraine ihre Heimat verlassen hat, oder von einem Familienessen mit den Eltern von Ilja Jaschin, der als Oppositioneller ebenfalls jetzt in Deutschland lebt. Er zeigt am Menschen direkt, wie die Russen über die Welt, über Putin, über ihr Land denken. Und welche Widersprüche sich darin finden lassen. Etwa bei einer Russin, die zwar gegen Putins Krieg ist, aber kein Verständnis dafür hat, dass sie als russische Staatsbürgerin nun nicht mehr in westeuropäische Staaten reisen darf. Und das die Ukrainer auch mal auf russisches Territorium schießen. Oder auf seiner Reise nach Kaliningrad, als gerade der 300. Geburtstag des Königsberger Sohns Immanuel Kant gefeiert wurde. Da muss er sich doch allen Ernstes anhören, dass Kant ja als Russe gesehen werden wolle. Neben „Krim nasch“ (Die Krim ist unser) heißt es auch „Kant nasch“ (Kant ist unser).
Thumann beantwortet für mich auch eine Frage, die ich mir seit Jahren stelle und ich nicht gedacht hätte, in seinem Buch eine Antwort darauf zu finden. Wie kann die Regierung in Russland gestürzt werden? Sicher nicht durch das Volk. Da mache ich mir keine Illusionen mehr. Aus den Reihen der Silowiki wird auch keiner zur Waffe greifen. Bleibt für mich die Frage. Was ist mit der Polizei, mit den Milizionären? Diejenigen, sicher eher schlecht bezahlten Menschen, die diesen Unterdrückerstaat an vorderster Front im Inneren am Laufen halten. Thumann hat sich mit einem solchen ehemaligen Polizisten in Georgien getroffen. Er gibt einen Einblick in die Arbeit eines Polizisten in Russland. Den Drill, die Gewalt, der Druck.
Ich könnte jetzt noch viele weitere Dinge aufzählen. Das Buch steckt voller spannender Einblicke, für mich (und das kommt bei meinem Lesepensum immer seltener vor) einige Überraschungen und Dinge zum Nachdenken. Zu Beginn befürchtete ich, dass das Buch – da es ja ein sehr persönliches ist – dass Thumann vielleicht etwas arrogant rüberkommen könnte. Guckt mal, wenn ich alles getroffen habe und was ich alles erlebt habe. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es macht das Buch besonders menschlich, interessant und gibt ihm eine Tiefe.
Wer das heutige Russland besser verstehen will, der muss dieses Buch unbedingt lesen. Mit klarer Haltung für die Ukraine und einen scharfen Blick für die schizophrenen und teilweise sonderbaren Elemente der russischen Gesellschaft, führt Thumann wirklich hervorragend auf, wo dieses Volk gerade steht. Absolut lesenswert!
Hinterlasse einen Kommentar