
Liebe Freunde Osteuropas! Millionen Russlanddeutsche leben in hier, doch medial wird häufig das Klischee verbreitet, sie seien gewaltbereit, AfD-nah und mögen Putin. Die Journalistin Ira Peter kämpft seit Jahren gegen dieses Klischee und hat nun dazu ein Buch herausgebracht.
Zugegeben, das, was mich an dem Buch am meisten interessierte, kommt erst ziemlich am Schluss. Wie sieht es denn jetzt aus mit den Spätaussiedlern hier in Deutschland? Stimmt die Behauptung, die in mehreren Dokus, aber auch immer wieder in Artikeln deutscher Zeitungen verbreitet wird, die Russlanddeutschen seien irgendwie schlecht integriert, können kaum Deutsch, sehnen sich nach Mütterchen Russland. Ira Peter hat da in diese Richtung genau recherchiert. Denn so anders sind die Russlanddeutschen in ihrem Wahlverhalten nicht. Und den Einheimischen werden die von Generation zu Generation immer näher dabei. Trotzdem kennt Peter es auch aus eigener Erfahrung und im Familienkreis, dass manche eben doch große Stücke auf Putin und seine Politik halten. Das wurde Peter teilweise erst nach dem großen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 bewusst.
Doch der Großteil des Buches beschäftigt sich mit den Jahrzehnten davor. Ausführlich berichtet die Journalistin, wie sie damals mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen ist, wie anstrengend die ersten Jahre waren. Mit welchen Problemen und Herausforderungen sie konfrontiert wurden. Und das waren beileibe nicht wenige.
Auch geht sie intensiv auf die Geschichte der Russlanddeutschen in den sowjetischen Staaten vor dem Zerfall des Riesenreiches ein. Das sind vielleicht die wertvollsten Erkenntnisse, die ich aus der Lektüre dieses Buches mitnehme. Denn wie die Deutschen in der Sowjetunion lebten war mir nahezu unbekannt, außer, dass ich natürlich wusste, dass sie dort als Faschisten beschimpft und an für sie fremde Orte deportiert wurden.
Ich glaube in einem Interview habe ich von Peter gehört, dass sie eigentlich nie dieses Buch geschrieben hätte, wenn man nicht auf die zugekommen wäre und sie dazu animiert hätte. Und das ist wirklich ein Glücksfall gewesen. Ich bin jetzt echt kein Experte über Russlanddeutsche, aber viele Sachbücher, die sich diesem Thema in ihrer Aktualität widmen, gibt es anscheinend nicht. Romane sind in hingegen in den vergangenen Jahren einige erschienen, etwa „Wolgakinder“ von Sabrina Jachina, „Sibir“ von Sabrina Janesch, „Bis wir Wald werden“ von Birgit Mattausch oder „Nachtbeeren“ von Elina Penner, um nur ein paar zu nennen.
Auch besonders interessant ist, wie sich Peter dem Thema AfD und Russlanddeutsche nähert. Klug erklärt sie dem Leser, was die AfD für Russlanddeutsche attraktiv macht, wie die Partei es schaffte, die Ängste dieser Menschen – vor allem nach der Flüchtlingskrise 2015 – geschickt für sich zu nutzen, während die CDU sich immer noch auf ihrem Kohl-Bonus ausruhte.
Dem Titel nach ist Peters Buch als Debattenanstoß gedacht. „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“. Auf ihrer Lesetour mit dem Buch wird sie nun oft Gelegenheit dazu haben. Es bleibt zu hoffen, dass das Buch Denkanstöße bringt. Denn trotz der 30 Jahre, seit eine Vielzahl der Russlanddeutschen zurück nach Deutschland gekommen sind, gibt es immer noch viele Missverständnisse, falsche Eindrücke und Vorurteile gegenüber dieser Gruppe. Diese entstehen oft durch Unkenntnis der kulturellen und historischen Hintergründe sowie der spezifischen Lebensrealitäten, die Russlanddeutsche geprägt haben. Wer dieses Buch liest, wird die Spätaussiedler sicher viel besser verstehen.
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