Liebe Freunde Osteuropas! Heute dann die frisch erschienen Romane aus Osteuropa. Diesmal ist die Ukraine, Russland, Polen, die Slowakei, Tschechien, Bosnien, Serbien und Lettland dabei.

Gleich mehrere Romane kommen aus der Ukraine. Da wäre einmal „Donezk Girl“ der ukrainischen Schriftstellerin Tamara Duda. Das Buch ist ursprünglich 2019 erschienen. Eine junge Frau kommt aus Westukraine ganz in den Osten des Landes, baut sich dort eine Existenz auf. Dann kommt der Frühling 2014 und die Russen tragen den Krieg in das Land. Erst verdeckt, dann immer offener. Stadtteile werden zerstört, es gibt Plünderungen und Gewalt. Die Autorin Duda kann das durchaus aus persönlicher Erfahrung beschreiben, den sie lebt in der Stadt. Wer sich dafür interessiert, wir der Krieg in der Ostukraine angefangen hat, der wird hier sicher fündig.

Dann ist der jüngste Roman der ukrainischen Autorin Olena Sachartschenko jetzt auf Deutsch mit dem Titel „Bloß nicht bellen“ erschienen. Beziehungsweise es sind neun Geschichten, die Sachartschenko erzählt von Menschen, in deren gewohntes Leben unvermittelt der russische Angriffskrieg hereinbricht. Es sind kleine Geschichten aus den ersten Wochen des Krieges. Aber es sind keine Kriegsgeschichten. Es ist ein Buch über Menschen, über schicksalhafte Begegnungen, über Fluchten und Rettungen – und über Tiere. Der Autorin gelinge – so heißt es im Klappentest – in ihren Miniaturen eine ganz besondere Perspektive auf das Leben, auf den Willen zum Überleben und immer wieder auch auf die nie erlöschende Hoffnung.

Übrigens: Zum Roman „Kämpferinnen“ von Olena Sachartschenko gibt es schon eine Rezension von mir: https://literatur-osteuropa.blog/2024/04/23/nr-61-kampferinnen-von-olena-sachartschenko/

Und vom großartigen Dmitrij Kapitelman ist ein neuer Roman erschienen. In „Russische Spezialitäten“ werden die Probleme der aktuellen ukrainisch-russischen Welt auf familiärer Ebene beschrieben. Russland führt in der Ukraine Krieg, da ist es für den Sohn nicht einfach, eine Mutter zu haben, die auf der Seite Putins steht. Die Familie kommt ursprünglich aus Kyjiw, lebte aber schon lange in Leipzig. Um seine Mutter von den irren russischen Fernsehlügen zurückzuholen, fährt der Sohn in die Ukraine mitten in den Krieg. Ein – wie es im Klappentext steht – tragisches, zärtliches und komisches Buch. Und das glaube ich aufs Wort.

Denn ich habe bereits „Eine Formalie in Kiew“ von Kapitelman gelesen. Ein wirklich tolles Buch. Hier meine Rezension: https://literatur-osteuropa.blog/2024/01/09/eine-formalie-in-kiew-von-dmitrij-kapitelman/

Und „Die längste Buchtour“ von Oksana Sabuschko ist nach zweieinhalb Jahren in der günstigen Taschenbuchausgabe erschienen. In dem Essay berichtet sie von den Ereignissen ab dem 24. Februar 2022, sie war just einen Tag vorher mit dem Flugzeug nach Polen zu ihrer Lesetour gereist.

Es gibt bereits eine Rezension von mir. Ich fand das Buch extrem gut geschrieben. https://literatur-osteuropa.blog/2024/01/09/die-langste-buchtour-von-oksana-sabuschko/

Daniila Breser, Ukrainerin krimdeutscher Abstammung, und Richard Mackenrodt haben den Roman „Sonnenvögel“ herausgebracht. Der Roman beginnt wohl mit der Krym-Annexion. Die ukrainische Studentin Daniila flieht zu Verwandten ins Allgäu. Dort will sie ein Familiengeheimnis lüften, das ihrer Großmutter. Eine Spur führt nach Südostafrika. Der Roman erzählt auch die Geschichte der Großmutter, die in den 1960er Jahren in einer deutschen Kolchose in Kasachstan lebt und unbedingt mal eine echte Giraffe sehen will. Eine weitere Figur in dem Roman ist der bayrische Isarflößer Franz Beser. Und dann gibt es noch Henning von Tresckow, der bekannte deutsche Wehrmachtsoffizier, der nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus dann doch eher entsetzt ist, wohin das Ganze führt. Wie darauf eine zusammenhängende Geschichte entstehen kann? Dafür müsst ihr das Buch lesen.

Das Debütwerk „Dieses Zimmer kann man nicht essen“ der jungen Slowakin Nicol Hochholczerová wurde schnell zum Beststeller und ist mittlerweile in mindestens acht Sprachen übersetzt worden, unter anderem auf Deutsch. In dem Buch geht es um eine poetische Coming-of-Age-Geschichte, in der eine zwölfjährige Schülerin eine Beziehung mit ihrem fünfzigjährigen Lehrer eingeht. Das bleibt natürlich der Außenwelt nicht verborgen. Das besondere dabei ist, dass die Autorin aus eigener Erfahrung schreibt. Doch nicht nur des Themas wegen hat das Buch für Aufsehen gesorgt, sondern auch für die Sprache, in der es geschrieben ist.

Und aus dem Tschechischen ist ein Kinderbuch übersetzt worden. In „Klub der seltsamen Kinder“ von Petra Soukupová geht es um vier Kinder mit schrägen unterschiedlichen Charakteren, sie durch Zufall aufeinandertreffen. Peter will von zu Hause weg und Katka, Mila und Franta begleiten ihn dabei auf seinen Abenteuern. Der Treffpunkt ist ein altes Ferienlager. Auf dem Weg dorthin bekämpfen sie Ungerechtigkeiten, hinterfragen Grundsätzliches und überwinden erstaunliche Schwierigkeiten. Schließlich werden die vier aufgegriffen und warten darauf, von ihren Eltern abgeholt zu werden. Doch ihre Freundschaft ist besiegelt.

Die in Kyjiw geborene und in Berlin lebende Schriftstellerin Katja Petrowskaja hat zu Beginn der russischen Großinvasion in die Ukraine bis Herbst 2024 in der FAS regelmäßig Fotokolumnen veröffentlicht und somit eine Chronik des russischen Krieges geschrieben.

Aus Polen ist im Februar auch etwas erschienen. In „Die weißen Nächte“ erzählt Urszula Honek mehrere Geschichten. Sie alle spielen in einer menschenleeren, hügeligen Waldlandschaft im Südosten Polens. Es geht um Freunde, die sich aus der Schule kennen, auf Arbeitssuche gehen, zwei von ihnen schon mit dem Tod im Herzen. Ein kleines Mädchen steht seiner Großmutter beim Sterben bei, ohne es zu wissen. Eine unverheiratete junge Frau, die als einzige im nahegelegenen Städtchen zur Schule gegangen ist, will mehr vom Leben, als es ihr bieten kann. Sie alle, die mit existentiellen Krisen zu kämpfen haben, lassen mit ihrer je eigenen Stimme ein erzählerisches Mosaik aus dreizehn miteinander verknüpften Geschichten entstehen. Es ist ein Buch über das Lieben und Hoffen von Menschen, die im Schatten stehen.

Der Roman „Die schöne Frau Seidenmann“ des polnischen Schriftstellers Andrzej Szczypiorski (1928-2010) ist auf Polnisch erstmals 1986 erschienen. Da es in Polen verboten war, erschien es in einem polnischen Exilverlag in Paris. Deutsche Verlage hatten damals daran kein Interesse, also ist es 1988 im Diogenes Verlag in Zürich herausgebracht worden. Jetzt hat der Verlag das Buch nur aufgelegt. Es spielt im Jahr 1943 im von Deutschen besetzten Warschau. Die schöne Jüdin Irma Seidenmann kann durch ihr „arisches“ Aussehen und gefälschten Papieren fliehen, doch dann wird sie von einem Informanten der Nazis erkannt.

Und noch ein dritter Roman aus Polen. Es ist der vierte der insgesamt 13 Romane von Jakub Małecki, der ins Deutsche übersetzt wurde. Der Titel des Buches „Das Fest des Feuers“ ist ein Ballettstück, für das die Protagonistin Łucja hart trainiert. Sie hat eine jüngere, spastisch gelähmte Schwester, die aus dem Rollstuhl heraus das Leben beobachtet, klug, lustig und neugierig ist. Der Vater ist liebevoll, aber flüchtet sich häufig in die Wohnung des besten Freundes, als habe er vor etwas Angst, vor der Zukunft oder der Vergangenheit, fragt der Klappentext konspirativ. Und was ist eigentlich mit der Mutter geschehen? Als eines Tages die temperamentvolle Nachbarin Josefina an die Tür klopft, nimmt das Leben der kleinen Familie eine unerwartete Wendung.

Und nochmal Polen. Der deutsch-polnische Autor Paul Bokowski hat hat im September 2022 seinen Roman „Schlesenburg“ veröffentlicht, der nun in der günstigeren Taschenbuchausgabe zu haben ist. Darin geht es um einen heißen Sommer 89 in einer Sozialbausiedlung. Dort leben 60 Familien, fast alle aus Polen. Und plötzlich kommen Asylbewerber aus Rumänien und Russlanddeutsche hinzu. Das könnte für Probleme sorgen.

Einen Roman über Fremdsein und die Suche nach einer Heimat hat der österreichische Schriftsteller Christoph Zielinski mit seinem Buch „Laurenzerberg“ vorgelegt. Es geht um Wacek und seine Frau Ophelia, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem kommunistischen Polen nach Wien fliehen, eine für sie fremde und feindselige Welt. Sie hängen so zwischen zwei Welten, der Sehnsucht nach der alten Heimat und der Hoffnung auf ein besseres Leben in einer neuen Welt.

Die Autorin Nikoletta Kiss wurde in Bukarest geboren und lebt mittlerweile als Verlagslektorin in Wien. In ihrem zweiten Roman „Rückkehr nach Budapest“ geht es um eine intensive Frauenfreundschaft und ein Liebesdreieck in den Wirren der Vorwendezeit. Márta wächst im sozialistischen Budapest auf, zieht nach dem Schulabschluss mit ihrer Cousine Theresa nach Ost-Berlin. Dort verlieben sich beide in den regimekritischen Schriftsteller Konstantin. Theresa ist die Glückliche, wird aber bald verhaftet.

Im ehemaligen Jugoslawien spielt der Roman „Von der Una“ des bosnischen Schriftstellers Faruk Šehić. Una ist ein Fluß, der in dem Roman eine größere Rolle spielt. Es geht um einen Soldaten, der versucht, seine traumatischen Erlebnisse aus dem Bosnienkrieg zu verarbeiten. Darüber hinaus geht es auch um seine Kindheit und Jugend.

Das Kinderbuch „Der Sommer, als ich fliegen lernte“ der serbischen Autorin Jasminka Petrović ist jetzt als Taschenbuch zu haben. Die 13-jährige Sofija würde die Sommerferien gerne mit ihren Freundinnen in Belgrad verbringen, aber muss mit der Oma auf die kroatische Insel Hvar, für sich furchtbar. Doch dann verliebt sie sich das erste Mal und wird mit einem tragischen Familiengeheimnis konfrontiert.

Version 1.0.0

Das mit Abstand dickste #Osteuropa-Buch, dass im Februar erschienen ist, ist sicher „Permafrost“ des russischen Schriftstellers und Journalisten Viktor Remizov. Ganze 1264 Seiten ist es dick. Sieben Jahre hat er daran gearbeitet. Es spielt in der abgelegenen sibirischen Siedlung Jermakowo in den Jahren 1949 bis 1953. Dort hat Stalin ein ebenso gigantisches wie sinnloses Bauprojekt geplant. Mithilfe von bis zu 120.000 Gulag-Häftlingen sollte am Polarkreis, durch Taiga und Sümpfe eine anderthalbtausend Kilometer lange Eisenbahnstrecke verlegt werden, die den Unterlauf des Jenissejs mit dem Nordural verbindet. Das Projekt wird zur Metapher für den stalinschen Totalitarismus. Der Leser erlebt die vielfältige Schönheit und den Reichtum einer kargen Landschaft, in die der Mensch eindringt, um sie zu unterjochen, zu versklaven und zu zerstören, heißt es im Klappentext. Es geht um menschliche Schicksale zwischen den Mühlsteinen der Geschichte, ohne die Realität zu übertreiben oder literarisch zu verschleiern. Das Böse wird nicht teuflischer geschildert, als es ist, das Gute nicht heiliggesprochen.

Die russische Schriftstellerin Lydia Tschukowskaja (1907-1996) hatte kein einfaches Leben. Ihr Mann und viele Kollegen vielen dem Stalin-Terror zum Opfer. Ihr Roman „Sofia Petrowna“ konnte erst 1988 im damaligen Leningrad erscheinen. Bereits 1967 ist es unter dem Titel „Ein leeres Haus“ auf Deutsch erschienen, 1982 dann in einer Neuauflage unter dem Ursprungstitel „Sofia Petrowna“. Und jetzt bringt des der Dörlemann-Verlag neu heraus. In dem Buch geht es um die titelgebende Sofia Petrowna. Ihr Sohn Kolya ist ihr ganzer Stolz. Er studiert Ingenieurswesen und hat als überzeugter Kommunist beste Karrierechancen. Doch plötzlich ist die Rede von Verrat und ihr Sohn wird festgenommen. Von da an macht es sich Sofia Petrowna zur Aufgabe ihren Sohn zu befreien.

In der Taschenbuchausgabe ist jetzt „Beutezeit“ von Norris von Schirach erschienen. Es geht um den Deutschen Anton, der als Rohstoffhändler reich geworden ist. Er flieht aus Moskau, ist aber doch auf der Suche nach dem nächsten Kick. Dann gibt ihm ein Headhunter ein verlockendes Angebot. Er soll im an Bodenschätzen so reichen Kasachstan mit Geld aus anonymen Quellen einen Stahlkonzern aufbauen. Anton lässt sich auf das Abenteuer ein und muss schmerzhaft erfahren, wie lokale Clans und unersättliche Eliten ihre nach dem Fall der Sowjetunion zusammengeraffte Beute skrupellos verteidigen. Trotzdem findet Anton Verbündete und schließt einen folgenschweren Pakt.

In der günstigeren Taschenbuchausgabe ist jetzt „Wo vielleicht das Leben wartet“ von russischen Autorin Gusel Jachina mit tatarischer Abstammung erschienen. Es spielt im Jahr 1923 in Kasan. Im Wolgagebiet herrscht große Hungersnot. Dejew, ein ehemaliger Soldat, soll fünfhundert elternlose Kinder mit dem Zug nach Samarkand bringen, um sie vor dem sicheren Tod zu retten. Aber es fehlt an allem für den Transport: Proviant, Kleidung, Heizmaterial für die Lokomotive. Ein Roadmovie durch ein zerrüttetes Land beginnt.

Der 1975 verstorbene Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić hat neben seinem bekanntesten Werk „Die Brücke über die Drina“ im Jahr 1945 auch das Buch „Das Fräulein“ veröffentlicht. Der dtv-Verlag hat das Buch im März 2023 neu aufgelegt und jetzt ist es auch in der Taschenbuchausgabe erschienen. In „Das Fräulein“ geht es um Rajka. Ihr Vater schärft ihr auf dem Sterbebett ein immer sparsam zu leben und sich nur um sich selbst zu kümmern. Das zieht sie auch soweit durch, bis sie auf den jungen Ratko trifft und dann all die erlernten Prinzipien über Bord wirft.

Na, wie viele von euch können auswendig sagen, wer Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow gewesen ist? Das ist der sowjetische Oberstleutnant, der dafür bekannt geworden ist, dass er am 26. September 1983 nicht auf einen vermeintlichen nuklearen Angriff der USA auf die Sowjetunion reagiert und einen möglichen Atomkrieg verhindert hat. Diesem Mann hat der Schweizer Schriftsteller Lukas Maisel nun einen Roman mit dem Titel „Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete“ gewidmet.

Die junge Autorin Ricarda Messner legt ihren Debütroman vor. In „Wo der Name wohnt“ geht es um eine Frau, die die Wohnung ihrer Großeltern auflösen muss. Besteck, Töpfe und Musikkassetten will sie bewahren. Und den Familiennamen: Levitanus. Der Wunsch, den Namen wieder anzunehmen, führt sie auch nach Riga. Sie folgt den Worten ihres Urgroßvaters Salomon und findet ein Fenster im ehemaligen Rigaer Ghetto, das eng mit ihrer Familiengeschichte verknüpft ist – und sie zeichnet die Bewegungen von vier Generationen nach, vom sowjetischen Lettland der siebziger Jahre bis nach Deutschland.

Und zuguterletzt ein englisches Buch. In „Voices in the Air“ der polnisch-kanadischen Schriftstellerin Kasia Jaronczyk geht es um zwei Frauen und ihre Familien, die am 30. April 1982  ein polnisches Passagierflugzeug von Breslau nach Warschau entführen, um dem Kriegsrecht im kommunistischen Polen zu entkommen und in West-Berlin Sicherheit zu finden. Unter den Entführern befinden sich eine Baumwollspinnerin, deren Mann einer langen Gefängnisstrafe entgehen will, eine Lehrerin mit einer kranken Tochter, eine schwangere Vierzehnjährige, die Visionen von der Jungfrau Maria hat, und ein ehrgeiziger junger Filmemacher. Inspiriert von wahren Begebenheiten, wird „Voices in the Air“ aus der Sicht dieser vier Frauen und einer Stewardess erzählt, die in den verheirateten Piloten verliebt ist. Werden sie ihr Glück jenseits des Eisernen Vorhangs finden oder war die Entführung das Risiko nicht wert?

Avatar von thomasleurs

Published by

Categories:

Hinterlasse einen Kommentar