
Liebe Freunde Osteuropas! Nord Stream war von Anfang an ein umstrittenes Projekt. Trotz harscher Kritik trieb Deutschland es weiter voran. Mit welchem Skrupel und welcher Chuzpe das geschehen ist, kann man jetzt in einem beeindruckend recherchierten Buch nachlesen.
Die beiden Journalisten Steffen Dobbert und Ulrich Thiele haben lange recherchiert, zehntausende geheime Dokumente ausgewertet und im März 2024 sogar einen Aufruf für Hinweisgeber gestartet. Herausgekommen ist dabei ein gut 400 Seiten langes Buch, das es in sich hat.
Die Autoren erzählen die Geschichte chronologisch über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren, von November 2004 bis August 2024. Meine anfängliche Befürchtung, ob das so funktionieren kann, wenn man ständig zwischen Orten hin und herspringt, hat sich schnell revidiert. Das Buch liest sich spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Klingt wie eine Floskel, ist aber wirklich so.
Die Autoren gehen detailliert darauf ein, wie Putin vor 20 Jahren mit Gerhard Schröder den „perfekten nützlichen Idioten“ für das Projekt gefunden hat, wie Merkel es dann fortführt und wie in Mecklenburg-Vorpommern erst durch den Ministerpräsidenten Erwin Sellering und dann ab 2017 durch seine Nachfolgerin Manuela Schwesig das Projekt trotz vielerlei Hindernisse zu Ende geführt wird.
Was die Autoren dabei zutage gefördert haben, lässt mich selbst aus dem Staunen nicht mehr rauskommen. Wie bitte? Die Nord Stream AG geheime Informationen der Bundeswehr, die mit Übungen in der Ostsee zu tun haben und haben sie am Ende sogar bekommen? Wie bitte? Als Manuela Schwesig eine Stiftung gründete, um neue US-amerikanische Sanktionen bezüglich Nord Stream zu umgehen, und die Zustimmung von Landtag (also auch der anderen Parteien) für eine Anschubfinanzierung von 200.000 Euro benötigte, gab es diese Stiftung bereits und ein Vertrag war bereits unterschrieben? Wie bitte? Regelmäßig wurde von russischer Seite Druck darauf ausgeübt, dass die Pipeline so schnell wie möglich fertiggestellt werden sollte. Egal, ob dabei EU-Recht gebrochen wird, es zu Umweltkatastrophen kommen könnte (kam es) oder die Vogel- und Fischwelt darunter zu leiden hat.
Eine besondere Aufmerksamkeit liegt dabei natürlich auf dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, die von der Pipeline vermeintlich stark profitiert und somit auf der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Wie sie bereits von Anfang an Kontakte nach Russland aufbaut, das Projekt Nord Stream beharrlich vorantreibt und dann – nach der Großinvasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 – von der Stiftung plötzlich nichts mehr wissen will und sie so schnell wie möglich der Vergessenheit anheim schicken möchte.
Dobbert und Thiele werfen aber auch einen Blick über Deutschland hinaus in die Ukraine, in der die Pipeline verständlicherweise nie auf Gegenliebe gestoßen ist. Von Anfang an sahen sie die Rohre als Möglichkeit Putin, die Ukraine für seine Gasgeschäfte umgehen zu können und somit das Land endlich in die Knie zu zwingen, notfalls auch mit einem Krieg. Dass Flüchtlingsbewegungen von der deutschen Bundesregierung bereits einkalkuliert wurden, macht die Sache nur noch schlimmer.
Zu großem Dank bin ich den Autoren verpflichtet, dass es eine Fülle an Gegenargumenten gegen die „Was haben wir denn mit der Ukraine zu tun“-Fraktion bietet. Für jedes Jahr nennen die Autoren Zahlen darüber, wie viel Gas Deutschland gekauft hat, wie viel es dafür bezahlt hat und wie viel Prozent der Militärausgaben Russlands das entspricht. Das waren für das Jahr 2021 insgesamt 31,5 Prozent!
Das Buch von Dobbert und Thiele ist ein würdiger Nachfolger für die „Moskau-Connection“ von Bingener und Wehner. Eine absolute Pflichtlektüre für alle, sich mehr wissen wollen, was unsere Regierungen in Deutschland alles (falsches) getan haben. „Nord Stream“ ist für mich ein ganz starker Anwärter für das Buch des Jahres.
Hinterlasse einen Kommentar