Liebe Freunde Osteuropas! Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit, nochmal auf den Dezember zu schauen, was da alles an Neuerscheinungen zu Osteuropa erschienen ist.

Der vollumfängliche Krieg bedeutet für die Menschen in der Ukraine eine massive Veränderung in ihrem Leben. Wie sich das Leben für sie verändert hat, davon erzählen u.a. KünstlerInnen, ForscherInnen, KritikerInnen, JournalistInnen in zehn Essays in dem Band „Wir, die wir uns verändert haben: Ukrainische Kulturschaffende erleben den Krieg“. Sie berichten von ihren neuen Erfahrungen, wie sie ihr Zuhause verlassen und sich intellektuell und beruflich neu erfinden, was es bedeutet, Zeuge des Kriegs zu sein und sich zu bemühen, Menschen außerhalb der Ukraine diese radikale Erfahrung und deren kulturellen Hintergrund zu erklären, und wie man in einer Welt, die sich unwiderruflich drastisch verändert hat, eine eigene Stimme findet.

Braucht es noch eine weitere Biografie zu Peter I.? Die Osteuropahistorikerin Martina Winkler findet: ja! Sie hat sich dem berühmten russischen Zaren gewidmet und will ein neues Porträt dieser Person und seiner Politik beschreiben. Im Fokus des Buches soll die Bedeutung von Peters Mitstreitern und Rivalen stehen, die kulturellen Muster, denen er folgte, die Kompromisse, auf die er sich einließ, und die Widerstände, auf die er traf. Im Zuge Russlands erneuten imperialistischen Ambitionen sicherlich eine wichtige Lektüre, um das Land besser zu verstehen.

Politische Witze gibt es im heutigen Russland zuhauf. Die Slawistin Christine Engel hat sie gesammelt und kommentiert. In ihrem gut 130 Seiten langen Buch „Gibt`s noch was zu lachen?“ beschäftigt sie sich mit diesen facettenreichen, klugen, pointierten kleinen Geschichten, die vielschichtige Einsichten in Stimmung und Lage in dem streng zensierten Land erlauben.

Kapo nannte man in Konzentrationslagern Menschen, die von den Nazis bestimmte Aufgaben übertragen bekommen haben. Besonders beliebt waren sie nicht, nutzen sie ihre Macht doch auch gegen ihre Mithäftlinge aus. Der Pole Stefan Krukowski war ein solcher Kapo. Doch er nutzte seine Stellung im KZ Mauthausen, um anderen zu helfen. 1963 legte er sein autobiografisches Buch „Byłem Kapo“ (zu Deutsch: Ich war Kapo“) vor. Darin gewährt er Einblicke ins Lagerleben und nun – nach mehr als 60 Jahren – ist das Buch erstmals auch auf Deutsch erhältlich.

Um dasselbe Thema geht es in „Briefe aus der Asche“ des russischen Historikers Pavel Polian. In seinem 672 Seiten dicken Werk geht es um Mitglieder des Sonderkommandos in Auschwitz, die von der SS gezwungen wurden, beim Massenmord zu helfen. Einige von ihnen hinterließen schriftliche Zeugnisse. Das Buch enthält alle erhaltenen neun Zeugnisse in deutscher Übersetzung und bettet sie mit ausführlichen Essays in den Entstehungszusammenhang ein.

Russland führt seit Jahren einen großen Krieg gegen die Ukraine und Europa scheint zu schlafen. Dabei müssten sich die Länder viel intensiver mit der Bedrohung auseinandersetzen, die von Russland ausgeht. Das ist die Auffassung des britischen Russlandexperten Keir Giles, der uns mit seinem Buch „Who will defend Europe?“ wachrütteln will. So will er uns erklären, wie die mangelnde Bereitschaft des Westens, sich mit Russland auseinanderzusetzen, die Bedrohung genährt hat und dass Putins Ambitionen den gesamten Kontinent gefährden. Er bewertet die Rolle und die Unzulänglichkeiten der NATO als Garant für harte Sicherheit und untersucht, ob die EU oder Koalitionen der Willigen die Lücke füllen können.

Die Zeiten der 1990er Jahre waren für viele im ehemaligen Ostblock nicht leicht. Für die Mafia war es aber ein Geschäft. Auch der ukrainische Schriftsteller Sergey Maidukov war einst teil dieser Mafiawelt. 1994 nahm er ein Geschäftsangebot an, das er später bereuen sollte. Aber als er merkte, für wen er da genau arbeitete, war es schon zu spät und er kam aus der Sache nur noch schwer raus. In seinem neuen Buch „Deadly Bonds: Five Years Inside the Ukrainian Mafia“ gibt er nun „Einblicke in die mafiöse Familie, die den postsowjetischen Staat des 20. Jahrhunderts beherrschte, und zeigt, wie sie die Bedingungen für eine wirtschaftliche, politische und moralische Katastrophe schuf“.

Nicht nur ausgebildete Soldaten verteidigen die Ukraine an der Front, sondern auch Studenten, Arbeiter, Priester, Lehrer. Im nun erschienenen Buch „First Hand Accounts from the Ukrainian Frontline“ von der Autorin Oksana Melnyk berichten einfache Menschen über verschiedene Zeitabschnitte des Krieges in verschiedenen Städten und haben unterschiedliche Sichtweisen auf das Geschehen. Ihre Ansichten verbinden sich zu einem Bild der Welt des Krieges und dem Bild eines Menschen, der sein Land während des blutigsten Krieges unserer Zeit verteidigt hat.

Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht, was ich von Iulia Mendel halten soll. Sie war die ersten zwei Jahre von Selenskyjs Präsidentschaft seine Pressesprecherin. Über diese Zeit hat sie im September 2022 ein Buch „The Fight of Our Lives: My Time with Zelenskyy, Ukraine’s Battle for Democracy, and What It Means for the World“ herausgebracht, das es nun in der Taschenbuch-Ausgabe zu kaufen gibt.

Seit mehr als 20 Jahren berichtet der australische Journalist Julian Evans über die Ukraine. Seine Heimat ist dabei die Stadt Odesa geworden. Über diese Stadt, seine Menschen und den großen Krieg schreibt er in seinem Buch „Undefeatable: Odesa in Love and War“.

Der frühere Moskaukorrespondent und Senior Ukraine Analyst Lucian Kim kennt sowohl die Ukraine als auch Russland sehr gut. In seinem Buch „Putin’s Revenge: Why Russia Invaded Ukraine“ untersucht er die Motive des Kremls für den großen Invasionskrieg und zeichnet Putins Wandel von einem scheinbar pragmatischen Führer zu einem verbitterten Tyrannen nach, der es als seine historische Mission ansah, die Ukraine zurückzuerobern. Kim stellt den Krieg in den breiteren Kontext des Zusammenbruchs der Sowjetunion und argumentiert, dass er eine Auseinandersetzung zwischen denjenigen darstellt, die die sowjetische Vergangenheit ablehnen – wie Wolodymyr Zelenski und Alexej Nawalny – und denjenigen, die sich immer noch mit ihr identifizieren. Er widerlegt zudem die Darstellung des Kremls, der Westen habe den Konflikt angezettelt, und sieht die Ursachen des Krieges stattdessen im Erbe des russischen Imperialismus und in Putins diktatorischer Herrschaft. Gleichzeitig kritisiert Kim die leeren Versprechungen des Westens gegenüber der Ukraine, die das Land anfällig für ein revanchistisches Russland gemacht haben.

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Der große Krieg beeinflusst alle Menschen in der Ukraine. Auch die Akademiker. Wie Dozenten für das Fach Internationale Beziehungen (IR) damit umgehen, damit beschäftigen sich Autoren in dem Buch „Teaching IR in Wartime: Experiences of University Lecturers During Russia’s Full-scale Invasion of Ukraine“. Es geht um die Erfahrungen von ukrainischen und nicht-ukrainischen Akademikern, die während des russischen Krieges gegen die Ukraine IR-Kurse abgehalten haben, und deckt ein breites Spektrum von Themen ab, von der Ermöglichung von Resilienz während der Arbeit in der Ukraine über die Berücksichtigung der psychologischen Auswirkungen des Krieges auf das Lehren und Lernen bis hin zur Änderung von Lehrplänen.

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Diejenigen unter euch, die zu Weihnachten ein paar Tausend Euro geschenkt bekommen haben und nicht wissen wohin mit dem Geld, können sich ja vielleicht das Buch „Voices from Ukraine: Journalists in, from and about the war“ für unfassbare 135 Euro gönnen. Das Buch untersucht das gefährliche neue Paradigma der Fehlinformation, das Paradox der Neutralität und die persönlichen, beruflichen und ethischen Entscheidungen, denen sich Journalisten in Kampfgebieten gegenübersehen. Darüber hinaus werden die Erfahrungen internationaler Reporter beleuchtet und die Arbeit von Journalistinnen in einem Bereich gewürdigt, der traditionell von Männern dominiert wird.

Wie haben sich die Kultur und die Medien in diesem Jahrhundert unter Putin gewandelt? Damit beschäftigt sich der Russisch- und Slawistik-Professor Eliot Borenstein. In seinem Buch „Russian Culture under Putin“ befasst sich mit dem künstlichen Putin-Kult, den konkurrierenden Modellen des Russentums in den Medien, der Besessenheit von Nostalgie und den Grenzen der Zukunftsvorstellung, dem Aufkommen eines aggressiven Patriotismus und dem Mythos alter russischer „traditioneller“ Werte, und und und. Die Kultur der letzten zwanzig Jahre, sowohl die offizielle als auch die unabhängige, war weitgehend improvisiert. Borenstein will zeigen, wie das Russland des 21. Jahrhunderts nicht mit dem Froschmarsch in die Unfreiheit marschiert ist, sondern sich auf einem schwach beleuchteten Weg hin- und herbewegt hat.

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Die beiden Osteuropahistoriker Yaroslav Hrytsak und Martin Schulze Wessel haben einen Band mit dem Titel „Hunger als Waffe: Der Holodomor in der Ukraine als Völkermord und europäischer Erinnerungsort“ herausgebracht. Der Holodomor, die von Stalin u.a. in der Ukraine ausgelösten Hungersnot ist in Deutschland immer noch viel zu wenig bekannt. In dem Band wird einerseits die Geschichte des Holodomor geschildert als auch Erlebnisberichte von Überlebenden analysiert. Mit dem Buch wollen die Autoren zeigen, dass der Holodomor nicht etwas da drüben in Osteuropa war, sondern „ein europäischer Erinnerungsort“ ist.

In dem Buch „Niños Robados / Gestohlene Kinder / Stolen Children“ geht es nur zum Teil um Osteuropa. Es geht darum, was es mit Familien macht, wenn ihnen die Kinder weggenommen werden. In einer Ausstellung wurden dazu die Biografie von Betroffenen aus Argentinien, Deutschland, El Salvador, Kanada, Spanien und auch der Sowjetunion in ihrem jeweiligen historischen Kontext vorgestellt.

Der Autor Davit Khutsishvili hat in einem Self-Publishing-Verlag sein Buch „Der Kaukasus im Griff des Zaren“ herausgebracht. Es geht um das 19. Jahrhundert, als der russische Imperialismus sich auf Georgien erstreckte. Khutsishvili beleuchtet die militärischen Konflikte, diplomatischen Intrigen und kulturellen Spannungen, die die zaristische Eroberung begleiteten. Der Autor zeigt, wie Russland Georgien nicht nur als geopolitisches Bindeglied zwischen Europa und Asien wahrnahm, sondern auch als symbolischen Schlüssel zur Sicherung seiner Macht gegen die Ambitionen des Osmanischen Reiches und Persiens, heißt es im Klappentext.

Belarus ist spätestens seit der Hilfe Putins nach Lukaschenkas letzten Wahlen im August 2020 und den darauffolgenden Protestaufmarsch nur noch ein Anhängsel des russischen Diktators ohne eigene Gestaltungsfreiheit. Dieser Annahme will der Akademiker Rasmus Nilsson mit seinem Buch „Uncanny Allies: Russia and Belarus on the Edge, 2012–2024“ widersprechen. Belarus und Russland sind ganz und gar nicht unerschütterliche Verbündete. Denn für Einflüsse von außen ist der Staat durchaus offen. Auch beansprucht er das wahre Erbe des sowjetischen Sieges und der slawischen Reinheit zu sein, wie der Autor behauptet.

Im Krieg in der Ukraine zu studieren, kann zu einer Herausforderung werden. Um den Studenten und Lehrenden zu helfen, wurde direkt im Frühjahr 2022 die Invisible University for Ukraine gegründet. Fast 1000 Studierende haben Kurse bei dieser Uni absolviert. Ziel des Programms ist es, die intellektuelle Entwicklung inmitten unglaublicher Schwierigkeiten zu fördern. Die Kurse sollen die Auswirkungen des Krieges auf die akademische Entwicklung der Studierenden abmildern und ihnen einen Rahmen bieten, um sich gegen die Autokratie zu wehren. Dieser Band würdigt die Initiative der IUFU-Organisatoren und ihrer Studenten, beschreibt ihre Arbeit zur Aufrechterhaltung der Demokratie und skizziert ihr Bildungsmodell.

Und noch ein Buch für Akademiker. Tine Munk hat sich in ihrem Buch „Memetic War“ mit der Cyperkriegsführung beschäftigt. Im ukrainischen Krieg habe sich eine informelle Verteidigungstaktik entwickelt, um den Informationsfluss über den Krieg aufrechtzuerhalten und die russische Kommunikation zu entlarven, so die Autorin. Das Buch soll für Wissenschaftler, Forscher und Akademiker im Bereich der Cybersicherheit, Praktiker, Regierungsakteure sowie militärisches und strategisches Personal von Bedeutung sein.

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Wer im kommenden Jahr vor hat, nach Prag zu reisen und sich für Kafka interessiert, wäre vielleicht folgendes Buch eine interessante Lektüre. „Literarischer Reiseführer Prag: Auf Kafkas Spuren“ von Sibylle Kappel soll ein Reiseführer der anderen Art sein. Man begibt sich auf die Spuren Kafkas durch die tschechische Hauptstadt, taucht in die Welt der Prager Mythen und erlebt die Stadt mit all ihrer Nostalgie und ihren bizarren Eigenheiten. So verspricht es zumindest der Klappentext.

Über den russischen Schriftsteller Andrej Platonov (1899-1951) hat der emeritierte Slawistik-Professor Hans Günther schon mehrere Bücher verfasst. 2016 erschien „Andrej Platonow. Leben Werk Wirkung“, 2020 dann „Revolution und Melancholie. Andrej Platonovs Prosa der 1920er Jahre“. Und ganz frisch ist jetzt „Andrej Platonov und das Absurde“ erschienen. In dem Buch wird es sehr literaturwissenschaftlich. Es geht um die Werke „Zum Vorteil“, „Der Makedonische Offizier“ und „Die Baugrube“ und darum, wie Platonov durch seine ablehnende Haltung zur sowjetischen Ideologie und der Kritik Stalins immer mehr Elemente des Absurden in seine Werke einfließen lässt.

Der mittlerweile 94-jährige US-amerikanische Journalist Marvin Kalb hat oft über die Sowjetunion berichtet. Vor sieben Jahren hat er angefangen, seine Memoiren zu veröffentlichen. 2017 erschien „The Year I Was Peter the Great: 1956-Khrushchev, Stalin’s Ghost, and a Young American in Russia“, dann 2021 „Assignment Russia: Becoming a Foreign Correspondent in the Crucible of the Cold War“ und jetzt kommt sein Buch „A Different Russia: Khrushchev and Kennedy on a Collision Course“ heraus. In diesem Band schreibt er über eine Reihe von Konfrontationen zwischen den USA und der Sowjetunion, darunter die Berlin- und die Kuba-Krise, einschließlich Einblicken in Chruschtschows Denkweise, die auf genauer Beobachtung und direkten Gesprächen mit dem kommunistischen Führer beruhen. Auch geht es um den Besuch Kalbs in der kommunistischen Mongolei im August 1962 und seine Beobachtungen über Russland und das russische Volk, als Chruschtschow versucht, den sowjetischen Kommunismus zu reformieren, aber kläglich scheitert und infolgedessen seinen Job verliert.

Wer mal Lust hat, sich so richtig tiefgründig mit der Landbevölkerung der Ukraine zu beschäftigen. Dazu gibt es jetzt tatsächlich ein kleines 68 Seiten dünnes Büchlein auf Deutsch. Der Titel des Buches von Vasyl Fedorak und Maryna Hylka („Ausgewogene Entwicklung des ländlichen Raums in der Ukraine: Probleme und Aussichten im Kontext des europäischen Integrationsprozesses“) gibt ja schon vor, worum es geht.

Und noch ein Buch, dass vielleicht als Anschaffung für die Bibliotheken der Osteuropäischen Geschichte lohnt. Die Politikwissenschaftlerin Hana Antal hat ihre Dissertation „Populismus in Ostmitteleuropa: Politische Diskurse in der Slowakei, in Tschechien und Österreich 2010–2018“ überarbeitet vorgelegt. Antal hat sich damit beschäftigt, wie sich die Inhalte und die Ausbreitung der Populismen in der Slowakei, in Tschechien und Österreich unterscheiden.

Und zu guter Letzt ist noch ein Kochbuch erschienen. Von Ljuba Fitze, die den ziemlich erfolgreichen Youtube-Kanal „Kalinkas Küche“ betreibt. In ihrem Buch „Osteuropäische Küche“ sind mehr als 70 traditionelle Rezepte enthalten.

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