Liebe Freunde Osteuropas! Heute stelle ich euch noch die neuen Osteuropa-Romane aus dem vergangenen Monat vor. Erfreulicherweise viel Ukraine dabei, aber auch Tschechien, Serbien, Slowenien, Litauen und Bulgarien.

Die Autorin Sasha Vasilyuk, US-Amerikanerin mit russischen und ukrainischen Wurzeln, hat einen großen Familienroman geschrieben, der auf einer wahren Geschichte beruht. In „Der gute Name unseres Vaters“ geht es um Yefim. Seine Frau Nina findet 2007 einen Brief von ihm an den KGB. So findet sie nach dem Tod ihres Mannes heraus, dass er nicht der Kriegsheld war, der er vorgab zu sein. Der Roman wird als hochaktuell und gleichzeitig zeitlos beworben, der die Zerrissenheit der Ukraine greifbar mache.

Die Veröffentlichung seines Buches „Ich verwandle mich…: Aufzeichnungen unter russischer Besatzung“ hat der Ukrainer Volodymyr Vakulenko nicht mehr erlebt. Im März 2022 geriet er in seinem Heimatdorf unweit Isjum unter russische Besatzung. Er schrieb auf, was er erlebte und vergrub diese Notizen in seinem Garten, ehe die Russen ihn mitnahmen und töteten. Die Schriftstellerin Victoria Amelina, die durch die Russen mit einer Rakete getötet wurde, fand die Notizen und brache sie als Buch heraus.

Und noch ein Buch eines Ukrainers ist im November erschienen. In „Wo der Wind ist“ von Ljubko Deresch geht es um einen rebellischen Schriftsteller, der in einer Krise steckt. Zugleich ist sein Land im Krieg. Kurzerhand zieht er mit einer Rockband aus Erstsemesterstudenten durch die Ukraine, um seine Inspiration wiederzufinden. Doch durch die Reise muss er unwissentlich Antworten auf die Fragen suchen, vor denen er so verzweifelt davonläuft.

Einer der bekanntesten Schriftsteller der Ukraine kämpft bereits selbst an der Front. In diesem Monat ist ein weiterer Gedichtband von Serhij Zhadan erschienen. In „Chronik des eigenen Atems: 50 und 1 Gedicht“ sollte Lyrik über die östliche Landschaft im Winter, den nahenden Schnee, die Stimmen in der Luft, die Weinberge entstehen. Doch die Großinvasion brach die Zeit, verstummte die Poesie. Erst Monate später kehrte die Sprache zurück: „Zeit neue Gedichte zu schreiben / Bei den alten weint niemand mehr.“

Aus dem Tschechischen übersetzt ist kürzlich der Roman „Winterbuch der Liebe“ von Dora Kaprálová erschienen. Das Buch ist eine Reaktion auf Péter Esterházys 1995 erschienener Roman „Eine Frau“, in der der ungarische Autor eine Frau in 97 Kapiteln auf ganz unterschiedliche Weise beschreibt. Bei Kaprálová ist es demzufolge dann ein Mann.

Und noch ein Werk aus Tschechien. Elsa Aids ist das Pseudonym eines tschechischen Autors, dessen Buch „Vorbereiten auf alles“ nun auf Deutsch erschienen ist. Das Werk ist eine Liebesgeschichte aus einem kleinen Land, in dem das Leben zum Ausnahmezustand wird, ein Kriegstagebuch aus der Zeit des Waffenstillstands, ein auf die nächste Umgebung fokussiertes Selbstporträt. So steht es im Klappentext.

Von Radoslav Petković, einem der bekanntesten Schriftsteller Serbiens, ist ein neuer Roman in deutscher Übersetzung erschienen. Sein Buch „Schicksal mit Anmerkungen“ beginnt wie ein Abenteuerroman. Erst geht es um einen russischen Marineoffizier serbischer Herkunft, der während der Napoleanischen Kriege in geheimer Mission unter den Serben in Triest weilt, wo er sich verliebt. Genau anderthalb Jahrhunderte später wird ein serbischer Historiker mit sehr ähnlichem Namen in Budapest Zeuge der Revolution. Beide Figuren sind verbunden über den Graf Đorđe Branković.

Aus Slowenien ist diesem Monat dabei „Punk-Museum“ von Babačić Esad. Es geht zurück in die eintönigen Wohnblöcke der 1960er in Ljubljana. Das Buch scheint keine lineare Handlung zu haben, sondern ist voller Anekdoten von Ljubjlanas Straßen, aus den Clubs, den Lost Places und verlassenen Lagerhallen, von Zugezogenen und Alteingesessenen.

Um die Belagerung von Sarajevo geht es in „Das verrückte Herz: Sarajevo Marlboro remastered“ des Schriftstellers Miljenko Jergović. 1994, vor 30 Jahren, wurde Jergović durch sein Buch „Sarajevo Marlboro“ schlagartig bekannt. In seinem Nachfolgewerk erzählt er zugewandt, voller Traurigkeit und Humor vom täglichen Überleben in der Belagerung und den Schrecken des Krieges, von Hunger, Angst und den kleinen Gesten der Solidarität.

Seit mehr als 20 Jahren lebt der litauische Autor Ričardas Gavelis nicht mehr. Nun ist sein 1989 erstmals erschienener Roman „Vilnius Poker“ erstmals auf Deutsch erschienen. Es handelt von Vytautas Vargalys, der unter sowjetischer Besatzung geboren wird, Freiheitskämpfer wird, nach Folter im Arbeitslager in Sibirien lebt. Nach seiner Rückkehr wird er von rätselhaften Visionen und Erinnerungen heimgesucht. Er ist überzeugt: Die bröckelnde sowjetische Macht lauert hinter jeder Straßenecke, und jede Vorstellung von Wirklichkeit trägt eine Alternative schon in sich. Das gut 700 Seiten dicke „Vilnius Poker“ gilt als eine der wichtigsten litauischen Romane des 20. Jahrhunderts.

Der dritte Teil der „Jura und Wolodja“-Reihe ist erschienen. In „Du und ich und für immer“ der beiden Autoren Elena Malisowa und Katerina Silwanowa haben Jura und Wolodja beschlossen, ihrer Liebe eine Chance zu geben. Doch für die ist es schwer, in Charkiw ihre Beziehung im Verborgenen zu halten. Jura ertränkt seine Sorgen in Alkohol und Wolodja merkt, dass Jura nur zu sich finden kann, wenn er nach Deutschland zurückkehrt. Das Aus für ihre Beziehung?

Und noch eine Graphic Novel über das Leben im Konzentrationslager ist erschienen. Es beruht auf wahren Begebenheiten von Ginette Kolinka. Für „Adieu Birkenau: Eine Überlebende erzählt“ haben der Journalist Victor Matet und der Comiczeichner Jean-David Morvan die alten Dame im Jahr 2020 nach Polen begleitet. Das Buch ist sowohl die Biographie einer Überlebenden als auch Ginette Kolinkas persönliche Bilanz über ihr Leben mit dem Holocaust.

Bald 30 Jahre ist es her, dass der Roman „Radek“ des deutschen Schriftstellers Stefan Heym erschienen ist. Nun kommt er neu heraus. Es ist das Porträt von Karl Bernhardowtisch Radek. Er war Revolutionär, Journalist und Politiker und gehörte zu den führenden Linken in der polnischen und deutschen Sozialdemokratie. Als Emigrant in der Schweiz und in den Jahren der Oktoberrevolution war er Weggefährte Lenins. Er verkörperte das Pathos und die Tragik eines freiheitlichen Sozialismus, geriet in Konflikt mit dem stalinistischen Apparat und wurde 1937 Opfer der Moskauer Schauprozesse.

Version 1.0.0

Vom kasachischen Autor Kanat Omar ist eine zweisprachige Ausgabe mit dem Titel „pupille der erfrorenen: зрачок замёрзшей“ erschienen. In seinem Poem greift er ein lange verdrängtes Kapitel der kasachischen Geschichte auf: die Hungerskatastrophe infolge der Zwangskollektivierung und Sesshaftmachung der Steppenbevölkerung im 20. Jahrhundert.

Und etwas Lyrik kommt im November aus Bulgarien. In „Gedichte vom blauen Jungen“ sind gesammelte Texte von Aleksandăr Vutimski (1919—1943) in Deutsch und Bulgarisch zu finden. Vutimski wagte, was damals noch eher ungewöhnlich war, über homosexuelle Liebe zu schreiben. Auch politisch nahm er es in Kauf, Anstoß zu erregen: so im Gedicht »Raubtier Europa«, in dem er sich gegen Hitler stellt.

So, und jetzt noch ein paar englische Werke. Da wäre einmal der Kurzroman „The Summer Without You“ des nordmazedonischen Schriftstellers Petar Andonovski. In seinem Buch geht es um die komplexe Geschichte dreier Männer, die in eine Liebesbeziehung verstrickt sind. Es ist ein Roman über die inneren Kämpfe, über die Entfremdung zwischen den Partnern, über die anhaltende Suche nach der Wahrheit. Aber es ist auch ein Roman über Familie und Provinzialität.

Svetlana Carsten ist Linguistin und Übersetzerin, wohnt in York, aber ist im Nordkaukasus aufgewachsen. Unter dem Pseudonym Max Simov hat sie nun ein Kinderbuch mit dem Titel „Sofka and the Crusader“ herausgebracht. Sofka ist neun Jahre alt und lebt mit ihrem ukrainischen Vater und ihrem Bruder im Nordkaukasus. Auf der Suche nach Abenteuern in der Welt freundet sie sich mit einer Spinne an. Als sie mit ihrem Bruder in die Ukraine reist, bittet die Spinne sie um einen Gefallen. Sie soll einem traurigen Mädchen helfen, ihre böse Stiefmutter zu finden. Denn die Stiefmutter hat die Familie des Mädchens verflucht.

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