
Liebe Freunde Osteuropas! Gibt es Hoffnung auf ein besseres Russland? Der Journalist Paul Starobin hat sich mit vielen Russen im Exil getroffen und mit ihnen gesprochen. Mich erstaunt, was Russen alles für die Ukraine tun. Aber Hoffnung gibt mir das Buch trotz allem nicht.
Für sein gerade mal gut 120 Seiten langes Buch ist Paul Starobin viel gereist. Er war in Georgien und Armenien und hat sich mit der Exilcommunity getroffen. Übers Internet hatte er zudem noch Kontakt zu Russen in England, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und den USA. Mit diesem Buch will Starobin zeigen, dass ein Wandel möglich ist – und zwar durch die Russen, die er getroffen hat.
Er beschreibt etwa einen Generationenwandel. Die heute vielleicht bis 30-Jährigen schämen sich für ihre Eltern, dass sie zu wenig getan haben, um Putins Machtzuwachs zu verhindern. Er beschreibt Söhne und Töchter, die deswegen den Kontakt zu Vater oder Mutter ganz abgebrochen haben. Er trifft sich mit einer Frau namens Nastya, die nicht vorhat, wieder nach Russland zurückzukehren. Eher will sie in die Ukraine, um dort nach dem Krieg beim Wiederaufbau zu helfen, sollten die Ukrainer das überhaupt wollen.
Und Russen helfen in diesem Krieg gegen ihr eigenes Land auf Seiten der Ukraine, als ich es für möglich gehalten hätte. So spricht Starobin über Zoom mit einem Mann, dessen Namen er nicht nennt, aber der sehr wohlhabend sei und rund 300.000 Dollar für Drohnen an die Ukraine gespendet hat – „kleines Geld“, wie sich der Unbekannte ausdrückt.
Auch das Interesse an der ukrainischen Sprache ist gewachsen, wie eine Ukrainisch-Lehrerin dem Autor in Georgien bestätigt. Viele Russen würden jetzt Kurse bei ihr belegen, um die Sprache zu lernen. So versuchen manche Exilrussen, ihre Schuld etwas abzutragen, indem sie die Sprache dieses überfallenen Volkes lernen.
Auch TV Rain (Дождь) spielt in dem Buch eine größere Rolle. Starobin erzählt die Geschichte des Senders nach, den „Skandal“ in Lettland mit dem Moderator, der für die Hilfe für russischen Soldaten warb, und den TV Rain am Ende die Sendelizenz kostete. Ich kam beim Lesen wirklich ins Grübeln, ob das jetzt wirklich die richtige Entscheidung war oder nicht. Und auch das Thema Religion wird gestreift. Denn nicht alle orthodoxen Priester sind mit der Politik ihres Patriarchen Kyrill. Sie ziehen lieber das Exil vor.
Dass das letzte Kapitel so schnell altert, hätte der Autor wahrscheinlich selber nicht gedacht. Das im Januar 2024 erschienene Buch endet mit dem Kapitel „Waiting for Navalny“. Wenige Wochen später wurde der bekannte Gegner Putins im Gefängnis ermordet. Das Kapitel bleibt aber trotzdem lesenswert. Beschreibt es doch die Biografie Nawalnys und was für ein Mensch das war. Und regelmäßige Zuhörer des Podcasts RusslandWatcher, aufgepasst. Wenn ihr euch immer mal wieder fragt, wer Pewtschich, Wolkow, Kasparow, Chodorkowski und Ponomarew ist, dann lohnt die Lektüre des letzten Kapitels. Dort wird das who-is-who der russischen Exilanten vorgestellt und wie sie zueinanderstehen.
Das Buch ist also wirklich lesenswert, bringt eine Vielzahl an interessanten Erkenntnissen. Doch es überzeugt mich nicht, dass in den Händen dieser Menschen eine bessere Zukunft für Russland liegt. Nicht, weil sie es nicht wirklich wollen. Sondern, weil es wohl einfach zu wenige sind. Selbst der Autor gibt es an einer Stelle zu. Er schreibt: „No doubt, many Russian exiles, probably a majority, wanted nothing to do with activities of any kind in support of Ukraine’s war cause.” Und trotzdem: Wer sich für die russische Exilgesellschaft interessiert, wird die Lektüre dieses Buches sicher nicht bereuen.
Hinterlasse einen Kommentar