Liebe Freunde Osteuropas! Heribert Prantl ist mir in Bezug auf Russlands Krieg gegen die Ukraine dadurch bekannt, dass er sich für Frieden stark macht. Dazu hat er nun ein Buch veröffentlicht. Größtenteils ist es langweilig, aber eine Sache regt mich besonders auf:

Dabei macht der Journalist Prantl direkt im ersten Satz seines Vorwortes klar, dass der ausschlaggebende Punkt für sein Buch „Den Frieden gewinnen – Die Gewalt verlernen“ der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist. Diesem Krieg misst er sogar eine so große Bedeutung bei, dass er gleich auf der nächsten Seite nahtlos zum 7. Oktober, dem brutalen Hamas-Angriff, wechselt und sich dann viel lieber mehrere Seiten mit dieser Thematik beschäftigt.

In sieben Kapiteln arbeitet sich Prantl dann an verschiedensten Themen ab, ohne dass irgendein roter Faden in dem Buch erkennbar ist. Es wimmelt in dem Buch von Anekdoten und historischen Figuren. Er erzählt von Gandhi, Martin Luther King, Kennedy, Brandt, Kant, Max Weber, Otto von Bismarck, Oppenheimer, Einstein und vielen weiteren Persönlichkeiten. Was das jetzt alles mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hat? Ich bin mir sicher, nicht einmal Prantl könnte diese Frage beantworten.

Viel lieber verliert er sich in irgendwelchen Sprachbildern, bei denen man es schwer hat, dahinter zu kommen, was das denn jetzt heißen soll. Etwa, wenn Prantl im Vorwort die Zeitenwende als nicht existent abtut (wo er ja, wenn man sich Scholz und die SPD ansieht, durchaus recht hat). Es gebe vielmehr nur Gezeiten, eine Ebbe und Flut von Gewalt und Terror. Nun, gegen die Gezeiten können wir nichts ausrichten, sie geschehen einfach. Will Prantl etwa damit sagen, dass die Ukraine Russlands Krieg, wie die Gezeiten nun einfach eben ausgeliefert sind. Ja, sorry. Da können wir jetzt nix machen. Pech gehabt. Wartet bis Ebbe ist! Falls dann noch jemand von euch lebt.

Als studierter Jurist wartet Prantl natürlich auch mit einer ordentlichen Menge an Gesetzestexten auf. So beklagt sich der Journalist, dass das im deutschen Grundgesetz stehende Friedensgebot nicht sauber ausformuliert wurde. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatte dazu sogar extra eine „Vereinbarkeit der Unterstützung der Ukraine mit der Präambel des Grundgesetzes und Erklärungspflicht der Bundesregierung“ ausgearbeitet. Wie deutsche Gesetze Einfluss auf Kriege außerhalb unseres Staatsgebietes haben sollen, ist mir auch nicht ganz klar. Aber Prantl geht es ja nicht vorrangig um Russlands Morden in der Ukraine. Für ihn ist die Eskalation das Schlimmste, was passieren kann. Also, keine Waffenlieferungen und lieber verhandeln, bevor es schlimmer wird. Für Deutschland. Und das will ja keiner.

Was mir noch bei der Lektüre des Buches auffällt: Es werden so viele Namen genannt, ich habe sie oben euch in Teilen aufgezählt. Fällt euch an den Namen etwas auf? Ja, genau! Einen Osteuropäer oder eine Osteuropäerin sucht man dort vergebens. Kein Lech Wałęsa, kein Václav Havel, kein Andrei Sacharow, kein Adam Michnik, kein Vassil Lewski (bulgarischer Revolutionär und Freiheitskämpfer). In der Welt Prantls scheint Osteuropa nicht zu existieren. Nun muss sich natürlich nicht jeder in Osteuropa auskennen. Aber wer ein Buch schreibt mit Russlands Ukrainekrieg als Aufhänger, von dem erwarte ich das quasi. Und wird von mir in Grund und Boden kritisiert, wenn es an Osteuropa-Expertise mangelt.

Aber ich habe ja am Anfang geschrieben, dass mich eine Stelle an dem Buch besonders zur Weißglut treibt. Denn einen Osteuropäer, um genauer zu sein, einen Ukrainer hat Herr Prantl dann doch gefunden, um ihn als Kronzeugen für sein religiös-philosophisches Traktat zu missbrauchen. Den ukrainischen Musiker und Schriftsteller Serhii Zhadan. Zhadan hatte anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an ihn am 23. Oktober 2022 in der Frankfurter Paulskirche eine Rede gehalten. Und der Anfang der Rede passt Prantl gut in sein Konzept. Zhadan erzählt von einem Mann mit schwarzen und abgearbeiteten Händen. Ein Mann, der immer nach der Schlacht auf die Felder fährt und die Toten einzusammeln. Da trötet Prantl natürlich in sein Friedenshorn. Nicht zeigt mehr die Schrecken des Krieges, als was dieser arme Mann sehen und erleiden muss.

Doch die 3300-Wörter-Rede Zhadans geht dann noch weiter. Und Prantl geht hier schon etwas perfide vor, indem er den Rest der Rede verschweigt. Ein paar Absätze kritisiert Zhadan nämlich genau solche Friedensapostel wie den Autor. Zhadan sagt: „Appelle an Menschen zu richten, die ihr Leben verteidigen, Opfer zu beschuldigen, Akzente zu verschieben, gute und positive Parolen manipulierend einzusetzen, ist für den einen oder anderen eine ziemliche bequeme Form, die Verantwortung abzuschieben. Dabei ist alles ganz einfach: Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“

Dass mir das Buch nicht gefallen wird, war ohnehin klar. Was mich aber doch erschreckt, ist die absolute Abwesenheit ukrainischer Realitäten. Prantl ist ein Mensch, der gerne schreibt, der das so gerne tut, dass er sich daran verliert und somit auch den Leser. Zumindest ist es mir so gegangen. Ich meine, dass selbst Menschen, die mit Prantl d‘accord gehen, die Lektüre mühselig finden. Dem Buch fehlt einfach ein klares Konzept und eine klare Nachricht an den Leser beziehungsweise die Leserin.

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Eine Antwort zu „Nr. 62: „Den Frieden gewinnen – Die Gewalt verlernen“ von Heribert Prantl”.

  1. Avatar von Jutta Weber
    Jutta Weber

    Lieber Thomas Leus, tolle Analyse! Danke

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