
Liebe Freunde Osteuropas! Der Journalist Simon Shuster ist dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj so nah gekommen, wie kaum jemand sonst. Vor Kurzem ist Shusters Biografie über ihn auf Deutsch erschienen. Das Buch hat mich fasziniert. Und das liegt nicht nur an Selenskyj. Meine Rezension:
Simon Shuster ist Journalist beim US-Nachrichtenmagazin Time und berichtete viele Jahre lang aus der Ukraine. Immer wieder konnte er persönlich mit Selenskyj sprechen, aber auch mit Jermak, Saluschnyj und weiteren wichtigen Persönlichkeiten in der ukrainischen Politik. Shusters Buch beschreibt größtenteils die Ereignisse ab dem 24. Februar 2022. Und dabei kommt er Selenskyj besonders nah.
Extrem eindrücklich sind schon die ersten 70 des gut 500 Seiten langen Buches, in denen es nur um den ersten Tag der großen Invasion geht. Genau rekonstruiert Shuster, was Selenskyj an diesem Tag getan hat, was er gedacht hat, wie er reagiert hat. Selenskyj wird so detailliert in seinen Entscheidungen und seinen Gedanken wiedergegeben, dass ich das Gefühl bekommen habe, Shuster hätte mit Selenskyj die ersten Wochen in einem Zimmer in dem Bunker in der Bankowa-Straße ausgeharrt.
Das Buch lässt die ersten Kriegsmonate der Invasion Russland lebendig werden, und zwar aus der Sicht der Regierung. Wie etwa Saluschnyj darauf drängt, die Russen aus dem Norden kommen zu lassen, um dann gezielt zuzuschlagen. Die Taktik zahlte sich aus. Oder die Verhandlungen im März und April, die den Krieg beenden sollten. Noch nie habe ich eine so genaue und klare Beschreibung der Ereignisse gelesen. Was mir (etwas) neu war: Selenskyj wollte auch nach Butscha weiterverhandeln, obwohl er gedrängt wurde, nun alle diplomatischen Kanäle zu kappen. Und so nebenbei: Boris Johnson wird da mit keiner Silbe erwähnt.
Man erkennt durch das Buch hinweg eine Entwicklung bei Selenskyj. Anfangs lässt er alles Saluschnyj und die Generäle machen und konzentriert sich selbst darauf, Gelder und Waffen aus dem Ausland zu beschaffen. Doch mit den zunehmenden Erfolgen wird der ukrainische Präsident selbstbewusster. So werden in dem Buch mehrere geheime Touren von Selenskyj beschrieben. Manche, von denen ich bereits wusste, wie etwa sein Besuch in Cherson, kurz nachdem es befreit wurde, und manche kannte ich gar nicht, etwa als er in den ersten Kriegstagen sich in Kyjiw ein Bild von der Lage machen wollte.
Eine kleine Überraschung für mich war, dass es in dem Buch ein kurzes Unterkapitel gibt, das mit den Worten Exklusiv beginnt. So was kannte ich aus Sachbüchern bislang nicht. Es geht in dem Kapitel um Scholz, den Schuster auch während des Invasionskrieges in Berlin getroffen hat. Und auch, wenn ich Scholz fade Unterstützung ja schon kenne, war das doch ein sehr ernüchterndes Kapitel.
Was mir ebenfalls neu war, ist, welch starke Rolle Medwedtschuk in der Ukraine gespielt hat. Shuster macht es mir sehr viel verständlicher, wieso Selenskyj seine TV-Kanäle hat verbieten lassen und ebenso seine Partei. Dafür wurde er dann ja auch sehr kritisiert.
Ist das jetzt die beste Biografie über Selenskyj, die ich gelesen habe? Sie ist wirklich sehr sehr gut. Aber die Biografien über Selenskyj haben jeweils immer eigene Schwerpunkte, sodass jede für sich lesenswert ist. Allein der Umfang von Shusters Buch macht es aber schon zu einem besonderen. Packend geschrieben, tiefgründig recherchiert und einem großen Gespür für die menschlichen Emotionen der Protagonisten. Ich kann das Buch wirklich uneingeschränkt empfehlen. Wer mehr über Selenskyj erfahren will und sich genauer über Russlands Krieg in der Ukraine informieren will, ist bei diesem Buch an der richtigen Adresse.
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