Liebe Freunde Osteuropas! Einerseits wollen die Deutschen aus ihren Fehlern gelernt haben, aber jetzt bei Russlands Krieg fehlt ihnen die klare Richtung. Wieso das so ist, erklärt uns die Philosophin Bettina Stangneth in ihrem Essay „Überforderung: Putin und die Deutschen“.

Bettina Stangneth ist unabhängige Philosophin und hat sich unter anderem mit Immanuel Kant, der Geschichte des Antisemitismus im 18. Jahrhundert, der nationalsozialistischen Philosophie und Adolf Eichmann beschäftigt. In ihrem neusten Werk, das im März 2023 erschienen ist, stellt sie bei den Deutschen eine gewisse Überforderung fest, wenn es um Putins Krieg in der Ukraine geht. Der Frage, warum das so ist, will sie auf den Grund gehen und fängt bei ihrer Suche in den Jahren 1945-49 an, einer Zeit, in der die Deutschen keinen Staat und noch mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen hatten.

Egal, wie lange sich die Deutschen einreden konnten, von all dem, was Hitlerdeutschland verbrochen hat, ja nichts gewusst zu haben. Jetzt wusste es jeder. Und jeder wusste, dass der andere es wusste. Was sie nicht wussten: Steht mir jetzt ein ehemaliger Täter, oder ein ehemaliges Opfer gegenüber? Und will ich das überhaupt wissen? Was kann ich ansprechen, was sollte ich lassen?

Die Deutschen waren schon damals mit sich überfordert, wie Stangneth feststellt. Selbst in der eigenen Verwandtschaft wird das Thema totgeschwiegen. Und mit seinem Angriffskrieg bringt Putin die Deutschen in ein Dilemma: „Das Benehmen dieses Angriffskriegers erschüttert nicht nur diejenigen in ihren Grundfesten, die aufmerksam hinsehen, weil sie es müssen, sondern im Gegenteil: Putins Russland verstört jene, die so schnell wie möglich wieder wegsehen wollen, weil sie bereits etwas erkannt haben, das sie noch nicht einmal ansehen können, ohne etwas von sich preiszugeben, wovor ihnen graut.“

Stangneth stellt die Frage, was wir Deutschen da eigentlich genau gemacht haben, als wir unsere eigene Vergangenheit aufgearbeitet haben. Ging es wirklich darum, daraus zu lernen, oder es nur so einzuordnen, damit es weniger erträglich ist? Die Teilung Deutschlands hat der Vergangenheitsbewältigung dann auch nicht weitergeholfen. Man war eher beschäftigt darin, sich besser darzustellen, als der andere Teil. Auf beiden Seiten.

Und nun stehen wir hier, drehen uns gefühlt immer nur im Kreis, während ein Land um sein Überleben kämpft und auf verlässliche Partnerschaften angewiesen ist. Stangneth hat ein wirklich interessantes – philosophisch durchaus anspruchsvolles – kleines Werk veröffentlicht. Mit vielen spannenden Gedankengängen, die zum Nachdenken anregen.

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