
Liebe Freunde Osteuropas! Stephan Wackwitz war mir bislang vollkommen unbekannt. Der deutsche Schriftsteller hat anderthalb Jahrzehnte in Ostmitteleuropa (u.a. Krakau, Bratislava, Tbilissi) gelebt, und blickt in seinem Essay (2019 erschienen) mit Befremden auf uns Deutsche. Meine Rezension:
Mittelosteuropa, eine Region mit vielen Ländern, in denen nicht viele Deutsche überhaupt mal zum Urlaub fahren. Der Schriftsteller und Publizist Stephan Wackwitz hat lange für Goethe-Institute in Krakau, Bratislava und Tbilissi gearbeitet. Einher geht dann zwangsläufig, dass er Land und Leute, deren Mentalität und Geschichte näher kennenlernt. So berichtet er in seinem Essay „Eure Freiheit, unsere Freiheit: Was wir von Osteuropa lernen könnten“, dass er unter anderem mit den Größen Adam Michnik, polnischer Essayist und Chefredakteur der größten Tageszeitung Polens Gazeta Wyborcza sowie dem ukrainischen Schriftsteller Jurko Prochasko Gespräche führen konnte.
Die Zeit in Mittelosteuropa hat Wackwitzs Blick verändert. Etwa den auf die Europäische Union. Sie ist für ihn bedeutsamer geworden. Noch im kleinsten Dorf in Georgien wehte 2011 bei seinem Besuch eine EU-Fahne am Rathaus. Die EU selbst hat keine Traditionen, auf die sie aufbauen kann. Ein sinngebendes Narrativ kann Europa laut des Autors durch die „osteuropäische Freiheitstradition“ erhalten. Die Polen verblüfften ihn in den Nullerjahren. Denn dort habe es kaum Sprechverbote und auch keine politisch korrekten Empfindlichkeiten gegeben. Alle zogen an einem Strang für ein gemeinsames Ziel: der Beitritt zur EU. Was Wackwitz noch in seinem Essay hervorhebt sind die geschichtlichen Bezüge, die Jahrhunderte zurückreichen. So erzählte man ihm 2019 in Lviv stolz, dass die Gründung einer katholischen ukrainischen Universität den Polen im Versailler Vertrag von den Siegermächten aufgetragen wurde. Erst später haben die Ukrainer in Eigenregie diese Universität gegründet. „Wer im Westen weiß heute, was in den Verträgen von Versailles gestanden hat?“, fragt Wackwitz den Leser.
Oder die Polen, die an ihrem Nationalfeiertag, dem 3. Mai, an ein mehr als 200 Jahre altes Verfassungsdokument erinnern. Und je mehr er in die Welt Polens, der Slowakei, der Ukraine und Georgiens eintauchte, umso fremder erscheinen dem Autor wir Deutsche. Oder genauer gesagt, manche Deutsche. So beschreibt Wackwitz wie er sich im Frühsommer 2014 in seiner Wohnung mit Blick auf die Tbilisser Macchiahügel „Anne Will“ im Internet ansieht. Und mit Entsetzen zuhören muss, wie ein gewisser Erhard Eppler dem Fernsehzuschauer erklärte, wie sehr doch Putin vom Westen enttäuscht sei. Wegen Nato-Osterweiterung etc. Und diesem Versprechen. Zitat: „Als ob irgendjemand irgendjemandem in irgendeinem Hinterzimmer jemals hätte „versprechen“ können, dass die Polen, die Letten, die Esten, die Litauer und die Georgier in ihrer selbst erkämpften Freiheit nicht beschließen dürften, sich unserer Welt und unserer Freiheit anzuschließen. Als könne das Versprechen irgendeines inzwischen längst pensionierten Machthabers schwerer wiegen als der Beschluss ganzer Völker.“
Was können wir also von Osteuropa lernen. Sicher eine Lektion in der Liebe zur Freiheit. Die (mittel)osteuropäischen Länder haben lange dafür kämpfen müssen. Und noch einen Rat gibt der Autor am Ende mit: „Ich denke, es würde helfen, einfach mal hinzufahren, staunend auf dem Krakauer Rynek oder dem Lemberger Rynok zu stehen, einen Abend im Café Atlas oder in einem Straßencafé von Bratislava an sich vorüberziehen zu lassen.“ Und da möchte ich persönlich hinzufügen: Einfach in der bulgarischen Hauptstadt Sofia vor dem Nationalen Kulturpalast in einem Café unter offenen Nachthimmel einen Cocktail trinken und den Sternen beim Funkeln zusehen. Ich verspreche euch: Es lohnt sich.
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