
Liebe Freunde Osteuropas! Das Buch „Wie der Krieg uns verändert“ von Olha Volynska ist das mit Abstand schrecklichste, das ich bislang über Russlands Krieg gegen die Ukraine gelesen habe. Darin kommen Stimmen zu Wort, die den Horror vor Ort erlebt haben. Meine Rezension:
Olha Volynska ist eine ukrainische Journalistin aus Dnipro und berichtet seit mehr als 15 Jahren in ukrainischen und internationalen Medien über Korruption, Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungerechtigkeit. Im Vorwort ihres Buches schreibt sie: „Bis zu Beginn der Arbeit an diesem Buch dachte ich, dass ich in zwanzig Jahren als Journalistin gelernt hätte, mit menschlichem Leid umzugehen. Aber da hatte ich mich geirrt.“
Zwölf Interviews hat sie für das Buch geführt, etwa mit Hanna Prokopenko, die von ihrer Großmutter Natalia Charakos erzählt, die in der Ukraine eine bekannte Schriftstellerin war, und in Mariupol nach der Invasion zwei Wochen in ihrem Keller lebte, bis sie unter den unmenschlichen Bedingungen, die dort herrschen starb. Oder mit Markian Lyseiko, der von Max Lewin berichtet, ein bekannter ukrainischer Fotograf, den die Russen bei seiner Arbeit erschossen haben. Oder mit Maryna Pitschkur, deren 13-jähriger Sohn vor ihren Augen von einem Panzergeschoss getroffen wurde.
Dieses Buch lässt einen die Gräuel des Krieges so nah kommen, wie ich es bislang noch nicht gelesen habe. Die Interviewten berichten von der Folter der Russen in Gefangenschaft, von dem Verlust ihrer Liebsten, die direkt neben ihnen stehend starben, von zerstörten Häusern, Nächte voller Ungewissheit, ob man den nächsten Morgen noch erleben wird.
Immer wieder sind die Gräueltaten der Russen Thema. Soldaten, die einfach in eine Schlange von Menschen schießt, die nur für Wasser und Brot anstehen. Die Schulen bombardieren, obwohl sich darin Zivilisten aufhalten, die eine Frau anschreien mit den Worten „Ihr hier seid alle Terroristen, Nazis, Banderisten“ und „Das ist unser Territorium. Euch gehört hier gar nichts!“.
Vielen Interviewten stellt Volynska dieselbe Frage: Warum machen die Russen das? Was befähigt sie zu solchen Gräueltaten? Niemand in dem Buch weiß eine Antwort darauf. Ist es die Propaganda? Das raue Leben in Russland, in der sich immer nur der Stärkere durchsetzt? Die Ärztin Olha Svyst, die sich zwei Tage nach Beginn der Invasion entschließt, mit ihrem Mann (ebenfalls Arzt) nach Butscha zu gehen, um dort im Krankenhaus zu helfen. Sie hat eine klare Meinung über die russischen Truppen: „Das sind keine Soldaten. Das sind Verbrecher, die die Ukraine und die Ukrainer hassen, was wir tun und wie wir leben. Die gekommen sind, uns zu vernichten.“
Eine Bereicherung für das Buch ist, dass dort die Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk (@avalaina) mit einem Interview vertreten ist. Dort berichtet sie von ihrer wichtigen Arbeit, die Verbrechen der Russen in der Ukraine zu dokumentiere und für zur Aufklärung zur Verfügung zu stellen. Mit anderen ukrainischen Menschenrechtsorganisationen hat sie die Initiative „Ein Tribunal für Putin“ gegründet. Im Januar 2023 waren bereits mehr als 29.000 Verbrechen dokumentiert.
Das Buch bringt vieles ans Licht, was bei der tagesaktuellen medialen Berichterstattung unter geht. Es zeigt die Menschen ganz vorne, die in der ersten Reihe des Krieges stehen. Was sie gesehen, was sie erlebt haben. Und ich muss gestehen, dass ich mehrmals während des Lesens weinen musste. So nah gehen einem die Schicksale.
Das Buch hat den Titel „Wie der Krieg uns verändert“. Wie verändert der Krieg nun die Menschen? Viele sagen, dass der 24. Februar 2022 ihr Leben komplett verändert hat. Der Krieg hat Wunden geschlagen, die auch in Jahren nicht geheilt sein werden. Falls überhaupt. Viele haben ihr zu Hause, ihre nahen Verwandten, Ehefrauen oder -männer, Großeltern, ihr Kind verloren.
Wer erfahren will, wie die Ukrainer die ersten Kriegswochen erlebt haben, in Butscha, in Charkiw, in Odessa und in Cherson, der möge dieses Buch lesen. Eindrücklichere Schilderungen wird man sonst kaum finden.
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