Liebe Freunde Osteuropas! Das Buch, das ich euch heute vorstellen will, ist eine Wucht. Mit „Verstellter Blick – Die deutsche Ostpolitik“ führt uns Thomas Urban gnadenlos vor Augen, welche Fehler die Deutschen in Bezug auf Osteuropa gemacht haben. Meine Rezension:

Thomas Urban (Jahrgang 1954) ist Journalist und hat mehrere Jahrzehnte für die Süddeutsche als Osteuropa-Korrespondent gearbeitet. Er ist ein großer Kenner Polens und Russlands, hat unter anderem Bücher über Katyn, Russische Schriftsteller im Berlin der zwanziger Jahre und über die Deutschen in Polen geschrieben. Sein neustes Buch erschien Mitte März 2022, also wenige Wochen nach dem großen Angriffskrieg und bringt uns einerseits die Geschichte vor allem Polens (aber auch der Ukraine und Russland) näher, aber im Mittelpunkt stehen wir selbst, die Deutschen. Beziehungsweise die Politik unseres Landes, und warum wir im Osten so viel Vertrauen verspielt haben.

Es ist erschreckend zu lesen, wie sehr die deutsche (SPD)-Politik Polen und Russland über Jahrzehnte falsch eingeschätzt hat, die Zeichen nicht richtig deutete und allgemein mit diesem doch so wichtigen Nachbarn nachlässig umging. Wer mehr darüber erfahren will, der muss dieses Buch lesen. Aber auch in Bezug auf Russland schauten unsere westlichen Nachbarn verwundert auf die Deutschen. Amerikaner, Briten und Franzosen sahen die „Gorbimanie“ eher mit Befremden. Und das nicht zu Unrecht.

In einem Kapitel widmet sich Urban dem „Problemfall Ukraine“, wie er sein Kapitel nennt. Und auch hier führt Urban genau auf, was alles für Fehler seit den 90ern passiert sind. Ein Beispiel nenne ich euch aus dem Buch. Die Bundeswehr brauchte in den 90ern strategische Transportflugzeuge für ihre Luftwaffe. Durchaus angeboten hätten sich die Antonow-Werke in Kyjiw mit der An-70. Das war ein bewährter sowjetischer Transporter, der mit wenig Geld an westliche Standards angepasst hätte werden können. Aber ne, nach Druck aus Paris wurde es der Airbus A400M. Ja, genau. Das Pannenflugzeug.

Und so geht es in einem fort in diesem Buch. Sei es aus Hochnäsigkeit, sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus Unwissenheit oder Naivität. Die Fehler, die von deutscher Seite gemacht wurden, sind zahlreich. Und finden sich zuhauf in diesem Buch.

Wer sich für dieses Thema nur einen Funken interessiert, muss dieses Buch lesen. Ich habe so viel Neues gelernt. Und sehe auch das ein oder andere jetzt mit ein wenig anderen Augen. Etwa die Justizreform in Polen, die ja auch zu Recht scharf kritisiert wird. Aber – ihr ahnt es schon – auch da hat die deutsche Regierung, aber auch auf EU-Ebene, einige Fehler gegenüber Polen gemacht, dass es einem die Fußnägel aufrollt.

Lasst euch von dem etwas faden Cover des Buches nicht abschrecken. Das Buch hat es in sich. Und hat dabei nicht mal 200 Seiten. Unbedingte Leseempfehlung für jeden Osteuropa-Interessierten!

Wer von Urban nicht nur etwas lesen, sondern auch hören wird. Vor wenigen Tagen hat er mit Jörg Tadeusz über sein neustes Buch „Lexikon für Putin-Versteher“ gesprochen. Beziehungsweise, eigentlich geht es weniger um das Buch, als um Urban selbst. Absolut hörenswert.

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr2/joerg-thadeusz/audio-thomas-urban-journalist-100.html

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