Liebe Freunde Osteuropas! Der Mord im Tiergarten in Berlin ist uns sicher allen bekannt. Die Journalistin Silvia Stöber hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, das gestern erschienen ist. Es zeigt, wie groß Russlands Macht außerhalb seines Landes ist. Meine Rezension:

Kurz die Geschichte des Mordes: Am 23. August 2019 hat der Russe Wadim Krassikow dem Tschetschenen Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten in Berlin aufgelauert und hat ihn mit einer Pistole am helllichten Tag quasi hingerichtet. Aufmerksamen Passanten und dem schnellen Eingreifen der Polizei ist es zu verdanken, dass Krassikow geschnappt werden konnte. Wäre er entkommen, hätte man den Fall wohl nie aufklären können.

Stöber steigt erstmal in die Geschichte Tschetscheniens ein, um dem Leser zu erklären, in was für einer Welt Changoschwili aufgewachsen ist. Dann geht sie genauer auf den Auftragsmord ein, wie Krassikow nach Deutschland gekommen ist, welche Motive es für den Mord gibt und wie der russische Staat darin involviert sein könnte. Denn: Den Mord bestreitet Krassikow bis zur Verurteilung. Akribisch beschreibt Stöber, wie sich Krassikow mehrere Scheinidentitäten angelegt hat und welche Fehler und Ungenauigkeiten passiert sind, die die Ermittler auf die richtige Spur geführt haben.

Sehr detailliert beschreibt die Autorin auch die Tat und die Umstände, wie es dazu kommen konnte, dass Krassikow an jenem 23. August 2019 in Berlin Changoschwili erschoss. Sie zeichnet nach, welche Route er von Russland aus gewählt hat, das Netzwerk aus Helfern, die er gehabt haben muss und nach welchem Muster Auftragsmörder vorgehen.

Zudem geht die Autorin noch genauer auf die Biografien von Krassikow und Changoschwili ein und beschreibt den Verlauf des Prozesses, der sich über mehrere Monate hinzieht und kurz vor Ende nochmal verlängert, da Verwandte des Angeklagten ausfindig gemacht werden konnten.

Stöber zeigt in ihrem Buch wie skrupellos Russland mit der nordkaukasischen Republik Tschetschenien umging und um geht, wie Russland respektive Putin kein Interesse an einem friedlichen Tschetschenien hat, sondern durch Auftragsmorde und Intrigieren, den Konflikt in dem Land weiter am Köcheln halten will.

Wieso gerade Changoschwili sterben musste, bleibt in dem Buch ein wenig offen. Er hatte mittlerweile ein ruhiges Leben in Berlin geführt und stellte keine Gefahr mehr da. Eine Möglichkeit, die die Autorin nennt, ist, dass es eine Ansage an die tschetschenische Diaspora sei. Nach dem Motto: Niemand ist sicher.

So stellt Stöber am Ende noch die Frage, wie man solche Attentate in Zukunft verhindern könnte. Das ist gar nicht so leicht. Zumindest bis 2019 war es für russische Agenten recht leicht, Mehrfachvisa für den Schengenraum zu erhalten. Das macht es den Agenten leichter, ihre Reiserouten zu verschleiern. Zudem ist eine Kooperation zwischen Ländern wichtig. Während Polen etwa schnell bei der Aufklärung des Mordes im Tiergarten mitgeholfen hat, war Frankreich wesentlich zögerlicher.

Eine nicht unterschätzende Rolle kommt bei der Aufklärung auch den Medien zu, wie Stöber eindrücklich in ihrem Buch beschreibt. Beim Tiergartenmord wäre da etwa Bellingcat zu nennen, ein Recherchenetzwerk, gegründet von dem Briten Eliot Higgins. Er sagte selbst im Gerichtsprozess aus.

Alles in allem ein hervorragend recherchiertes Buch, dass den Mord, die Hintergründe und noch viele weitere Details – etwa über das Leben Changoschwilis in Tschetschenien beschreibt. Absolute Leseempfehlung!

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Eine Antwort zu „Nr. 33: „Mord im Tiergarten: Putins Staatsterror in Europa“ von Silvia Stöber”.

  1. Avatar von Hans Gutbrod

    Danke — ich fand das Buch auch großartig, gerade in der ganz detaillierten und sachlichen Schilderung. Wirklich ein tolles Beispiel für ein Zeitzeugnis!

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