
Liebe Freunde Osteuropas! Ich muss euch sagen, dass Mikhail Zygar mit seinem neusten Buch „Krieg und Sühne“ wirklich ein sehr bemerkenswertes Werk veröffentlicht hat. Er beschreibt die Geschichte der Ukraine und ihren Kampf gegen Russland. Meine Rezension:
Das Buch, das im Untertitel „Der lange Kampf der UKRAINE gegen die russische Unterdrückung“ heißt, behandelt im ersten Drittel die ukrainische Geschichte vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. In den anderen zwei Dritteln geht es um die Ukraine nach dem Untergang der Sowjetunion. Es werden historische ukrainische Persönlichkeiten wie Bohdan Chmelnyzkyj, Iwan Masepa und Taras Schewtschenko genauer vorgestellt. Die Geschichten sind dabei im Präsenz erzählt. So gelingt es Zygar, die Ukrainer besonders lebendig zu beschreiben. Er erzählt ihre Geschichte, erklärt, wieso sie so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben. Bettet die ukrainische Geschichte in einen europäischen Kontext ein.
Gleich zum Einstieg schreibt Zygar von der „Kiewer Synopsis“, ein Werk des aus Ostpreußen stammenden Mönchs Innozenz Giesel. Ein Ziel seines 1670 geschriebenen Buches ist, „die Illusion zu erzeugen, dass Moskau und Kyjiw eine gemeinsame Geschichte haben“. Mit diesem Werk scheint es seinen Anfang zu nehmen, dass in Russland die Ukraine nie als eigene Nation, sondern immer nur als kleiner Bruder und zu Russland gehörend angesehen wird. Iwan Masepa, kämpfte erst als Hetman als Verbündeter des Zaren Peter im Nordischen Krieg Anfang des 18. Jahrhunderts. Doch als er später die Seiten wechselte – Masepa verbündete sich mit dem Schwedenkönig Karl XII. – wurde er aus russischer Sicht zum Verräter. Theophan Prokopowitsch, Erzbischof von Nowgorod und wichtigster Berater Peters des Großen, sowie auch später Puschkin greifen diesen Mythos auf.
Auch den Mythos, dass die Ukraine eine Erfindung Lenins sei – wie es Putin ja auch so gerne behauptet -, nimmt Zygar in seinem Buch auseinander. Vielmehr wurde im November von der Zentralna Rada die Ukrainische Volksrepublik gegründet. Lenin hatte damit überhaupt nichts zu tun. Doch diese Republik hält nur wenige Jahre. Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1920 ist es damit schon wieder vorbei. Auch ein eigenes Kapitel zu Stepan Bandera enthält das Buch.
Im zweiten Teil des Buches geht es dann um die ukrainische Geschichte seit etwa 1990. Zygar beschreibt die Jahre von 1990 bis in die heutige Zeit. Auch Selenskyj spielt natürlich eine nicht kleine Rolle in dem Buch. So erhält man gleich noch viel Autobiografisches über die Anfänge von Selenskyj und wie er letzten Endes zum Präsidenten geworden ist.
Zygar kommt seinem Leser so weit es auch nur irgend geht entgegen. Soll heißen: Er schreibt sehr lebendig, packend, witzig und auch hintergründig. Die Stärken des Buches liegen darin, dass es Figuren wie Chmelnyzkyj, Masepa oder Bandera sehr plastisch beschreibt. Für Einsteiger wie auch Fortgeschrittene bestens als Lektüre geeignet.
Zum Schluss gibt Zygar an, dass er der festen Überzeugung ist, dass das russische Imperium der Vergangenheit angehört. Er schreibt: „Manche mögen einwenden, es sei noch zu früh, um das zu sagen. Aber das ist es nicht. Künftige Generationen von Russen werden sich mit Schrecken und Scham an den Krieg erinnern, den Putin entfesselt hat. Sie werden staunen, wie archaische Hybris das Denken der Menschen des 21. Jahrhunderts beherrschen konnte. Und sie werden nicht denselben Weg einschlagen, wenn wir, ihre Vorfahren, heute dafür Sühne leisten.“ Ich hoffe, dass er recht behalten wird.
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