Liebe Freunde Osteuropas! Ich habe mal wieder ein fantastisches Buch durch. Es geht um „Himmel über Charkiw: Nachrichten vom Überleben im Krieg“ des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan. Meine Rezension:

Serhij Zhadan ist Kennern Osteuropas kein Unbekannter. Er hat bereits eine Vielzahl an Romanen und Gedichten geschrieben, ist Musiker, hat einen Doktortitel, organisiert Literatur- und Musik-Festivals. Zhadan (geboren 1974) lebt schon seit Jahrzehnten in Charkiw, einer Stadt in der Ostukraine, gerade mal gut 25 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.

Den Krieg hat er in einem öffentlichen Tagebuch auf Facebook beschrieben. Diese Einträge sind nun als Buch erschienen. Zhadan beschreibt, was sich in den Tagen nach Beginn der Invasion in seiner Heimatstadt so tut. Die Einträge gehen vom 24. Februar bis zum 24. Juni, decken also die ersten vier Kriegsmonate ab. Dabei kommt Zhadan immer wieder klar auf den Punkt, was er von den Invasoren hält. Sie sind Bastarde, die keine Skrupel kennen, die Ukraine zerstören wollen und aus dem Land wieder hinausgeworfen werden sollen.

Zhadan ist in der Ukraine sehr bekannt. Also erhalten seine Aufrufe viel Aufmerksamkeit. Er sammelt ständig Geld, um Fahrzeuge, Drohnen und alles weitere Mögliche für die Soldaten an der Front zu besorgen. Die ganze Stadt (also diejenigen, die geblieben sind), stellen sich darauf ein, den Soldaten zu helfen. Die Tage sind dabei unterschiedlich, mal friedlich, mal ist Charkiw unter Beschuss.

Die Tagebuch-Einträge sind manchmal nur wenige Sätze lang, manchmal mehrere Seiten. Zhadan schreibt davon, wie Freunde von ihm an der Front umkommen, wie er von Zerstörungen und Vernichtungen in anderen Städten erfährt. Doch in vielen Posts dringt auch die Hoffnung durch. Beispielhaft sei hier der Tag zitiert, an dem Butscha bekannt wurde: „Freunde lasst uns durchhalten. Die Wahrheit, die uns heute betäubt – die Zeugnisse von Butscha -, sie ist natürlich unerträglich. Die Russen sind genau deshalb gekommen – um uns zu vernichten. Wir haben nur eine Möglichkeit zu überleben – in diesem Krieg zu gewinnen. Lasst uns daher für den Sieg arbeiten, die Streitkräfte der Ukraine unterstützen. Alles andere später. Jetzt nichts als Widerstand, Kampf und gegenseitige Unterstützung.“

Es ist wirklich erstaunlich zu lesen, wie Zhadan in diesen ersten Kriegsmonaten an keiner Stelle gebrochen, pessimistisch oder depressiv wirkt. Welch eine starke Person muss er sein, dass er selbst im Krieg immer an den Sieg glaubt, in den Soldaten immer wieder Hoffnung sieht.

Zhadan schreibt viel über Alltägliches. Wie das Leben in der Stadt läuft. Es sind auch viele Bilder in dem Buch. Eines zeigt Zhadan mit seinem Hund, ein anderes zeigt ihn in Barwinkowo, einem 8300-Seelen-Ort östlich von Kramatorsk gelegen, in das er mithilfe von Freunden Tausende Büchera brachte. Immer wieder kommen auch Kinder vor, wie sie in den Metros ausharren müssen, er schreibt von seinem Säugling, der direkt nach der Entbindung im Krankenhaus in einen Bunker evakuiert werden musste und quasi noch nichts in seinem Leben kannte als den dunklen Raum unter der Erde.

Aber neben all dem Schrecken beschreibt Zhadan auch schöne Momente und Dinge, die es so wirken lassen, als gäbe es keinen Krieg, auch wenn sich dieser nie wegdenken lässt. Zitat: „Denn die Normalisierung ist in Wirklichkeit sehr bedingt und äußerst gefährlich – einerseits sind die Plätze in der Stadt wieder rundum mit teuren Autos vollgeparkt, und die Teenager vollführen wilde Sprünge auf ihren fürchterlichen BMX-Rädern, aber gleichzeitig macht der ständige Beschuss – in der Stadt selbst und in den Vororten – die Illusion von einem normalen Leben in einer warmen, sonnigen Stadt gespenstisch traurig.“

Die Ausdrücke Zhadans gegenüber dem russischen Aggressor sind nicht so drastisch, wie in Julia Solskas Tagebuch, aber sie gehen in die gleiche Richtung. Es ist spannend zu lesen, dass eine Stadt, die so weit im Osten liegt, sich so sehr gegen die russischen Invasoren wehrt. Von Menschen, die Putins Herrschaft bevorzugen, liest man in dem Buch (wenn ich mich jetzt richtig erinnere) nichts.

Die Impressionen sind auf jeden Fall sehr wertvoll, wenn man verstehen will, was die Ukrainer gerade erleben. Sehr empfehlenswert!

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