
Liebe Freunde Osteuropas! Das erste Buch, das ich euch in diesem Jahr vorstellen will, ist ein richtiger Kracher. Die Osteuropahistorikerin Franziska Davies und 15 weitere Osteuropa-Experten haben mal mit den ganzen Mythen, die rund um die Ukraine existieren, gehörig aufgeräumt.
Was bei dem Buch besonders positiv zu erwähnen ist, ist die große Vielfalt der Themen. So wirft der ukrainische Essayist und Deutschlandkenner Jurko Prochasko einen Scheinwerfer auf all die Vorurteile, die die Deutschen gegenüber den Ukrainern haben und hatten. Die Ukrainer wissen wesentlich mehr über die Deutschen als umgekehrt. So kommt es, wenn die Deutschen das Wort Nationalismus hören, sofort an den Nationalsozialismus denken, und ihn auf andere Länder übertragen. Ob das angebracht ist, oder nicht.
Die Osteuropa-Historikerin Julia Herzberg geht genauer auf die Hintergründe und die spätere sowjetische Vereinnahmung der Vereinbarung von Perejaslav im Jahr 1654 ein. Denn anders als aus Russland heutzutage zu hören ist, war das keine Wiedervereinigung zweier Brüdervolker, der Russen und der Ukrainer. So wurde es schon damals nicht gesehen.
Der Bonner Osteuropahistoriker Martin Aust zeigt, dass die Deutschen zwar seit 1945 keine imperiale Politik betreiben, ihr Erbe aber immer noch in unseren Köpfen rumschwirrt. Denn obwohl so viel auf Deutsch über Russland geschrieben wurde in den vergangenen 30 Jahren, kommen wir nicht davon weg, ein romantisiertes Russlandbild zu pflegen, dass der Historiker Gerd Koenen trefflich den „deutschen Russlandkomplex“ nennt. Als eines der bekannteren Beispiele dieser hegemonialen Denkweise nennt Aust Prof. Varwick, der nicht müde wird, uns Deutschen zu erklären, dass Verhandlungen der Königsweg sind.
Wie der Nationalismus in der Ukraine (und Russland) entstand und in welchen Facetten er existierte, untersucht Fabian Baumann. John-Paul Himka geht dann noch detailliert auf den radikalen ukrainischen Nationalismus ein, und betont gleich zu Anfang, dass die Ukrainer nicht überfallen wurden, weil sie dort ein Problem mit Rechtsextremen hätten. Moritz Florin klärt uns darüber auf, wie immer wieder versucht wurde, die Ukraine zu russifizieren. Auch Stalins Terror (von Bert Hoppe), die durchaus schwierige Geschichten zwischen Polen und der Ukraine von Kornelia Kończal oder das Schicksal der Krymtataren von Davies selbst werden in dem Buch behandelt.
Neben den historischen Themen geht es auch in die Gegenwart und über die Ukraine hinaus. So hat die ukrainische Forscherin Oleksandra Bienert mit vielen Flüchtlingen gesprochen und macht so ihr Leid und ihre Hoffnungen sichtbar. Die Philosophin Olga Shparaga schreibt über die Ukraine und das prodemokratische Belarus im Kampf für Demokratie. Und zu guter Letzt beschreibt der in Moskau lebende Jens Siegert das Russland der vergangenen 30 Jahre, die Entwicklungen der 90er, das Fremdeln mit der Demokratie, die Enttäuschung und Wendung gegen den „Westen“.
Und jetzt habe noch immer nicht alle Autoren genannt. Das Buch „Die Ukraine in Europa“ ist ein absoluter Glücksfall. Es fällt mir kein vergleichbares Werk ein, in dem in einer so großen Bandbreite und Vielfalt die Themen zur Ukraine abgedeckt werden. Die Geschichte des Landes in all seinen Facetten, ihre Beziehungen zum Westen, der aktuelle Krieg und seine Auswirkungen.
Jeder, der mehr über dieses Land verstehen will, der sich bei manchen Dingen nicht sicher ist, ob sie wirklich stimmen, sollte dieses Buch lesen. Es wird zur Aufklärung der Deutschen über dieses große Land mit seinen mutigen Bewohnern beitragen. Ich hoffe, es findet viele Leser.
Hinterlasse einen Kommentar