
Liebe Freunde Osteuropas! Heute geht es mal nach Belarus. Die Menschenrechts-Aktivistin Viktoryia Andrukovič hat im September 2022 ihr Buch „Aufgewachsen in der letzten Diktatur Europas: Mut, Schmerz und Hoffnung – Der Kampf um Freiheit in Belarus“ herausgebracht. Meine Rezension:
In ihrem gut 170 Seiten kurzen Buch beschreibt Andrukovič die Geschichte Belarus, ihre eigene Familiengeschichte und die politischen Ereignisse, die sie immer mehr zur Aktivistin werden ließ und letzten Endes dazu führte, dass sie mittlerweile im Ausland lebt und nicht mehr nach Belarus zurückkehren kann.
Los geht es erst mit der Geschichte des Landes. Belarus war zwischen den beiden Blöcken zwischen Ost und West. Wie die Ukraine hatte es im Zweiten Weltkrieg besonders hohe Verluste an Menschenleben zu beklagen. Ihr Urgroßvater starb in diesem Krieg, als er gegen die Sowjets kämpfte, die in den Osten Polens vorrückte, so wie Hitler und Stalin es in ihrem Zusatzprotokoll vereinbart hatten. Die Sowjetherrschaft machte es später nicht besser. Die Menschen waren arm und lebten ein karges Leben.
Auch die Tschernobyl-Katastrophe hatte unmittelbaren Einfluss auf ihre Familie. 70 Prozent des radioaktiven Fallouts gingen über Belarus nieder. Ihre Mutter hatte drei Fehlgeburten, die Ärzte sagten ihr, sie werde wohl nie gesunde Kinder zur Welt bringen. Sie brachte dann doch Andrukovič und sechs Jahre früher ihren Bruder auf die Welt.
In einem weiteren Kapitel geht es um den Zusammenbruch der Sowjetunion, wie sich das auf Belarus auswirkte und wie aus den ersten wirren Jahren Lukaschenko als Politiker und später Präsident hervorging. Am meisten hat mich überrascht, wie skrupellos Lukaschenko von Anfang an vorging. So hat er während seinen ersten Wahlen zum Präsidenten 1994 ein Attentat auf sich inszeniert. Und die Medien baute er als Präsident sehr schnell um, sodass nur noch das gesendet wurde, was er wollte.
Andrukovič beschreibt, wie sie in diesem Land unter der Herrschaft Lukaschenkos groß geworden ist. Sie sah das Elend, aber auch die Reichen, die schnell zu Geld gekommen waren und das auch zeigten. Vieles lief über Korruption und Geschenke. Auch etwa, auf welche Schule man geht. So schafften es Andrukovičs Eltern, sie auf eine bessere Schule zu schicken. Doch wirklich angenommen unter ihren Klassenkamerad:innen wurde sie nicht. Ihr Vater war ein Alkoholiker und die Mutter dafür zuständig, die Familie durchzubringen.
Andrukovič erlebt aber auch schöne Momente. Etwa Rockkonzerte, etwa der Band N.R.M. So schreibt sie: „Freiheit!“ Das Wort wurde zum Schlachtruf, es verband uns, gab uns Hoffnung. Es öffnete uns die Augen, ließ uns nachdenken über den Zustand unseres Lebens, unseres Landes. Wer sich in die Musik fallen, die Gitarrenklänge über sich hinwegschweben ließ, die Texte der Lieder aussaugte, war bereit, sofort loszuziehen und den Aufstand zu beginnen.“
Sie war schon früh ein kleiner Rebell, wollte etwa nicht bei den Pionieren in der Schule mitmachen, was den Schulrektor vor größere Probleme stellte, da so etwas nie vorgekommen war. Andrukovič ist in Hrodna aufgewachsen, ganz im Westen Belarus, wo viel belarusisch gesprochen wird und Lukaschenko keinen guten Stand hat. Für ihr Studium ging sie ins Ausland nach Vilnius. Dort gibt es die European Humanities University, eine belarusische Uni, die früher in Minsk war, aber wegen immer mehr Einmischung des Staates ins Exil ging. Andrukovič würde ihr quasi folgen.
Dass es im August 2020 nach den gefälschten Wahlen zu so großen Protesten in Belarus kam, lag laut Andrukovič auch an Corona. Denn – wie wir alle wissen – war das für den Diktator Lukaschenko keine große Sache. Er empfahl lieber auf dem Feld zu arbeiten und Wodka zu trinken. So lernten die Menschen, sich selbst helfen zu müssen und dass das erstaunlich gut klappte. Da die Bevölkerung merkte, dass sie auch gut ohne den Staat mit Hilfe untereinander klarkamen, waren es deshalb so besonders viele, die dann auf die Straße gingen.
Andrukovič selbst ging auch auf die Proteste, sehr zum Unmut ihrer Mutter, die große Angst um ihre Tochter hatte. Denn was mit den Festgenommen passierte, wurde mehr und mehr bekannt. Andrukovič sah und sieht in den Protesten, dass der Zenit Lukaschenkos weit überschritten ist. Die Corona-Pandemie und letztendlich die gefälschten Wahlen haben ihm die letzte Glaubwürdigkeit genommen. In der Bevölkerung habe er keinen Zuspruch mehr. Nur noch seinen Sicherheitsapparat. Und natürlich seinen Geldgeber Putin, der ihn politisch am Leben hält.
Als der große Invasionskrieg Russlands dann begann, half Andrukovič – sie arbeitet für Menschenrechtsorganisationen und NGOs zur Förderung von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit in Belarus – mit, die ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine zu unterstützen.
Andrukovič gibt in ihrem Buch Einblick in die Geschichte und das Leben in Belarus. Sie spart dabei die dunklen Seiten nicht aus, schreibt von Folter gegenüber Protestierenden in den Gefängnissen. Sie selbst wurde vom KGB verhört. Es gibt einen guten Eindruck, was in dem Land so los ist. Absolute Leseempfehlung!
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